Ausgabe 214

ÖSTERREICH JOURNAL NR.

ÖSTERREICH JOURNAL NR. 214 / 06. 05. 2025Österreich, Europa und die WeltNeujahrsempfang desDiplomatischen Corps6Bundespräsident Alexander Van der Bellen: »Niemals die Vision aus den Augenverlieren, eine friedlichere und gerechtere Welt und einen intakten Planeten fürkünftige Generationen zu schaffen« *)Foto: Peter Lechner / HBFAnsprache von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anläßlich des Neujahrsempfangs des Diplomatischen CorpsHochwürdigster Herr Nuntius! Sehr geehrterHerr Generalsekretär Marschik! Exzellenzen!Sehr geehrte Damen und Herren! Willkommenin der Hofburg, herzlich willkommenin unseren bescheidenen kaiserlichenAmtsräumen.Zunächst möchte ich Ihnen, geschätzter Erzbischof,sehr herzlich für die guten Neujahrswünschedanken, die Sie namens desDiplomatischen Corps überbracht haben.Wie jedes Jahr möchte auch ich heuer wiederein paar Worte über das abgelaufene sowieüber das kommende Jahr sagen.*)Es gilt das gesprochene Wort!Zuerst einmal zur großen politischen Weltlage:Nun, ich denke, es wird niemanden überraschen,wenn ich sage, wir leben wahrhaftin „interessanten Zeiten“ – was, wie Siesicher wissen, durchaus nicht als etwas Positivesgemeint ist.Der Trend zu schwierigen Umbrüchen, Krisenund Bedrohungen hat sich leider nichtberuhigt, im Gegenteil, er hat sich beschleunigt– und für das Jahr 2025 können wir nurhoffen, daß es besser wird.Die „neue Weltordnung“, die sich da ab -zeichnet, birgt einiges an Material für dieoben erwähnten „interessanten Zeiten“:Spaltungen vertiefen sich innerhalb unsererGesellschaften genauso wie auch in den in -ternationalen Beziehungen.Der Krieg auf europäischem Boden wütetweiter – Präsident Putin hat ihn zu uns ge -bracht und niemand weiß, wann er von seinemOpfer, der Ukraine, ablassen wird. Darüberhinaus schürt er im Inneren den Haß aufden Westen und versucht im Äußeren, mitallen Mitteln der Desinformation unsere de -mokratischen, liberalen Gesellschaften zude stabilisieren. Und teilweise scheint ihmdas auch zu gelingen.Wir haben zu wenig Instrumente gegen dieLügen und Verzerrungen, die – unter anderemvia soziale Me dien – unsere Gesellschaftüberfluten. Ein großes Tauziehen hat»Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at

ÖSTERREICH JOURNAL NR. 214 / 06. 05. 2025Österreich, Europa und die Welt7begonnen um die Köpfe der Menschen undum Regierungen.Der Nahe Osten durchlebt seit mittlerweilefast eineinhalb Jahren großes Leid. Viele,viel zu viele Menschen sind gestorben oderhaben geliebte Menschen verloren, in Israel,in Gaza und in anderen Ländern. Es bleibtnur zu hoffen, daß die so dringend benötigteVereinbarung, die seit Montag gilt, hält. Zuhoffen, daß alle israelischen Geiseln, dieeinen unvorstellbaren Horror durchlebenmüssen und mußten, so rasch wie möglichfreikommen und zu ihren Familien zurück -kehren können und daß der Zivilbevölkerungin Gaza rasch mit genügend Nahrung,Unterkunft und medizinischer Betreuung ge -holfen wird.Und dann geht es darum, in die Zukunft zublicken und einen Weg zu finden, wie Israelund Palästina, Juden und Araber, Seite anSeite, vertrauensvoll und friedlich leben kön -nen. Das liegt noch in weiter Ferne, aber eswird eine Lösung geben müssen. Es mußeine Lösung geben.Ja, die Erschütterungen, die uns im vergangenenJahr ereilt haben, sind so gewaltig,daß eine andere große Krise – die Klimakrise– zu wenig Beachtung bekommt. PolitischeParteien, die den Schutz des Klimas insZentrum ihrer Politik stellen, haben bei Wah -len oft schlecht abgeschnitten. Dabei sehenwir doch jedes Jahr deutlicher, was die Klimakriseanrichtet: Stürme, Dürren, Unwetter.Auch 2025 wird hier keine Ausnahmewerden. Die gewaltigen, verheerenden Brändein Kalifornien, in Los Angeles, sind nurdie jüngste Katastrophe.Wenn ich geographisch gleich in der Regionbleiben darf: Unklar ist auch, wie die neueUS-Regierung unter Präsident Trump, deram Montag angelobt wurde, ihre Machtfüllenutzen wird und wie sich dies auf unsereLänder, auf unsere multilateralen Institutionenund auf unsere Handelsströme und da -mit auf unsere Wirtschaft auswirken wird.Aber eines ist klar: Unsere transatlantischePartnerschaft ist über viele Jahrzehnte ge -wachsen und erstarkt, und sie eine wichtigeSäule der österreichischen und europäischenAußenpolitik.Ich vertraue darauf, daß dies auch in Zukunftso bleiben wird und daß unser Bündnis wei -terhin von Respekt und Wohlwollen und vongemeinsamen Werten getragen sein wird.Foto: Peter Lechner / HBF Foto: Peter Lechner / HBFBundespräsident Alexander Van der Bellen: „Nun, ich denke, es wird niemanden überraschen,wenn ich sage, wir leben wahrhaft in ,interessanten Zeiten‘ – was, wie Sie sicherwissen, durchaus nicht als etwas Positives gemeint ist.“Der Bundespräsident begrüßt den Apostolischen Nuntius Pedro Lopez Quintanaden, Doyender in Österreich akkreditierten Diplomatie.Ich vertraue darauf, so wie ich generellnichts davon halte, in Fatalismus zu verfallen.Fatalismus hat noch keinen Konfliktgelöst und noch keine Überschwemmungverhindert.Was wir brauchen ist Hoffnung und Entschlossenheit.»Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.atUnd es gibt ja guten Grund für Hoffnung.Nicht alles hat sich in dieser Welt zumSchlechten entwickelt, im Gegenteil: Im globalenSüden verbessern sich die Lebensbedingungenvieler Menschen weiter. Armut,Hunger sowie die Säuglingssterblichkeitgehen zurück, die Lebenserwartung steigt,der Zugang zu Bildung wird breiter, An -