ÖSTERREICH JOURNAL NR. 211 / 31. 07. 2024 Österreich, Europa und die Welt 26 Festakt anläßlich der Befreiung vom Nationalsozialismus Freiheit ist nicht alles, aber ohne die Freiheit ist alles nichts“, dieses Zitat gelte vor allem am 8. Mai, dem Tag an dem mit dem Zweiten Weltkrieg auch der Nationalsozialismus ein Ende gefunden habe: so eröffnete Bundeskanzler Karl Nehammer die Ge - denkfeier im Bundeskanzleramt. Gemeinsam mit den Rednern Vizekanzler Werner Kogler und Univ.-Prof. Wolfgang Mueller sowie musikalischer Begleitung gedachte er des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945. Verbrechen des Nationalsozialismus in Erinnerung rufen „Der 8. Mai läßt uns nicht nur gedenken, sondern auch nachdenken“, was der National - sozialismus bedeutet habe, das besondere Ver brechen, den Mord zu industrialisieren, den Rassenwahn, das Denunzieren und das Vernichten des politischen Gegners, so der Kanzler. Gedenken heiße, sich auch das Ge - schehene in Erinnerung zu rufen und „es nützen, solange es noch Zeitzeugen gibt, die über alle Verbrechen, über all das Erlittene Zeugnis ablegen können“. Denn, so Kanzler Karl Nehammer aus eigener Erfahrung sprechend: „Jeder, der schon einmal mit Überlebenden des Holocaust sprechen durfte, kann nachvollziehen, was ich meine, wenn man spürt, welche unglaubliche Grausamkeit diese erleben mußten.“ Besonders berührt habe ihn ein Besuch des Konzentrationslagers Mauthausen mit dem damaligen israelischen Außenminister Jair Lapid: „Wir haben sehr bewegte und bewegende Stunden in der Ge - denkstätte gemeinsam erlebt. Der Großvater von Jair Lapid wurde in einem Nebenlager von Mauthausen erschlagen. Es ist als Bun - deskanzler der Republik eine Erinnerung für mich selbst, die ich niemals vergessen wer - de.“ Aber es habe für ihn dort auch einen positiven Ausblick gegeben, so der Bundeskanzler: Die Erinnerungstafel an Leopold Figl habe darauf verwiesen, daß jemand, der im Konzentrationslager geschunden, gefoltert und erniedrigt wurde, der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik wurde. Die Tatsache, daß Menschen, die sich ein knappes Jahrzehnt davor bekriegt hätten, in Österreich, aus der gemeinsamen Erfahrung im Konzentrationslager heraus, über die Parteigrenzen hinweg, die Zweite Republik aufgebaut hätten, habe ihm Mut gemacht. „Dieses Mutmachende und gleichzeitig zu wissen, Foto: BKA / Andy Wenzel Am 8. Mai fand im Bundeskanzleramt ein Festakt zum Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus und an die Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa statt. Im Bild Bundeskanzler Karl Nehammer (l.) mit Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien, und dem Historiker und Wolfgang Müller, stellvertretender Vorstand des Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien was alles geschehen ist, das ist aus meiner Sicht so wichtig. Helmut Kohl hat einmal gesagt: Wer die Vergangenheit nicht kennt, der kann die Gegenwart nicht verstehen und damit die Zukunft nicht gestalten.“ Keinen Schlußstrich ziehen, sondern im Heute Verantwortung übernehmen „Gedenken und Nachdenken heißt für mich auch, dafür zu sorgen, daß es nicht aufhört, daß es nicht einen Versuch gibt, einen Schlußstrich zu ziehen“, stellte Nehammer klar. Es brauche in Demokratien dafür mutige Politikerinnen und Politiker, die Haltung zeigen und Halt geben. Der ehemalige Bun - deskanzler Franz Vranitzky habe hier einen schmerzhaften Prozeß des Erinnerns und Nachdenkens in Gang gesetzt und die Bun - deskanzler Wolfang Schüssel und Sebastian Kurz hätten in besonderem Maße die Beziehungen zum Staat Israel beim Thema Ge - denk- und Erinnerungskultur weiterentwikkelt. Es sei ihm eine Ehre, so der Kanzler, das fortzusetzen und zu seiner Agenda machen zu dürfen. Man habe hier durch eine Sicherheitspartnerschaft mit Israel eine zu - kunftsweisende Entscheidung getroffen: „Um damit zu zeigen, daß wir uns dessen bewußt sind, daß wir die Vergangenheit nicht ignorieren, die Vergangenheit nicht vergessen, das Leid annehmen, das angerichtet wor - den ist, ja auch durch Österreicherinnen und Österreicher und daß wir aus diesem Be - wußtsein heraus eine neue Form der Zukunft gestalten.“ »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at „Aus Feinden können eben doch auch Freunde werden“, und das sei etwas, was Österreich mit der Bundesrepublik Deutschland verbinde, „auch in der besonderen Verantwortung gegenüber dem Staat Israel, auch in der Herausforderung, die er jetzt ge - rade zu tragen hat“. Es sei hier besonders wichtig, daß dieses Gedenken und Erleben lebendig bleibe, so der Kanzler weiter, es sei auch eine gute Tradition geworden, daß sich SoldatInnen, PolizistInnen und SchülerInnen dieser Vergangenheit stellen. „Denn“, so be - tonte Karl Nehammer, „nur, wenn wir uns mit dieser Geschichte auch persönlich konfrontieren, ist es möglich, aus dem ,Niemals Vergessen‘ ein ,Niemals wieder‘ zu ma - chen.“ Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und braucht Wehrhaftigkeit Gerade jetzt sehe man, wie notwendig das Gedenken und Nachdenken sei, nahm der Bundeskanzler auf die aktuelle Lage Be - zug: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe das Unrecht des Kriegsführens wieder auf den europäischen Boden zurück– gebracht, ein Tabubruch. „Aber“, so der Kanz - ler weiter, „der Krieg ist auch in den Nahen Osten zurückgekehrt. Und auch hier ein klares Wort: Es ist unsere Aufgabe als Partner und Freunde, an der Seite Israels zu stehen.“ Der Terrorangriff der Hamas lasse Bilder des Holocaust in Erinnerung kommen. Darum stellte Nehammer klar, „daß wir hier keine Täter-Opfer-Umkehr zulassen, weder beim
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 211 / 31. 07. 2024 Österreich, Europa und die Welt 27 russischen Angriffskrieg in der Ukraine, noch beim Terror in Israel. Es gibt einen klaren Verantwortlichen für das Leiden im Gazastreifen, und das muß man klar sagen, das ist die Hamas.“ In Zeiten wie diesen verpflichte ein solcher Gedenktag, auch über die Wehrhaftigkeit der Demokratie nachzudenken, denn: „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und es ist unsere Verpflichtung, tatsächlich die Demokratie zu schützen, wachsam zu sein.“ Ob bei der Verrohung der Sprache, der Herabwürdigung des politischen Gegners oder bei der Ausbreitung des Antisemitismus in der Gesellschaft, es sei Wachsamkeit ge - boten, warnte der Kanzler. „Denn das An - wachsen des Antisemitismus war immer das große Zeichen, daß freie Gesellschaften un - frei werden.“ Die Demokratie müsse ge - schützt werden, „sodaß Systeme wie ein Ka - lifat oder anderes in unserem demokratischen Österreich nicht Realität werden.“ „Wenn wir von wehrhafter Demokratie sprechen, dann müssen wir bereit sein, die Demokratie auch zu verteidigen“, strich der Kanzler die Notwendigkeit heraus, daß die Politik hier auch Verantwortung übernimmt: „Jede Form von Gewalt, von Tyrannei, von politischer Einschüchterung, müssen wir als politische Verantwortliche verhindern, unterdrücken und mit allem Nachdruck strafrechtlich verfolgen. Denn die Demokratie braucht unseren Schutz. Das ist unsere Aufgabe, das ist unsere Selbstverpflichtung.“ Abschließend äußerte Karl Nehammer den Wunsch: „Dann nehmen wir das heute mit, aus dem Gedenken ein Nachdenken und aus dem Nachdenken ein Tun zu machen: Setzen wir uns daher jeden Tag für die De - mokratie, für die Freiheit und die Vielfalt in unserem Land ein.“ n Foto: BKA / Andy Wenzel Foto: BKA / Andy Wenzel Bundeskanzler Karl Nehammer (r.) mit dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien sowie des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs, Oskar Deutsch und Bundesministerin Klaudia Tanner (Bildmitte) Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien, bei ihrer Rede Foto: BKA / Andy Wenzel »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at
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