ÖSTERREICH JOURNAL NR. 211 / 31. 07. 2024 Österreich, Europa und die Welt 12 kratiebildung für die Grundwerte des demokratischen Systems einzusetzen, forderte er. Dazu sprach sich der Nationalratspräsident bei dem Termin im luxemburgischen Parlament auch für ein gemeinsames Vorgehen der Parlamente und das Bilden einer parlamentarischen Allianz gegen Antisemitismus und Demokratiebedrohungen aus. Auf dem Programm des Besuchs des Nationalratspräsidenten in Luxemburg standen auch Termine mit RepräsentantInnen des Europäischen Rechnungshofs und des Europäischen Gerichtshofs. Zudem wurde Sobotka von Großherzog Henri von Luxemburg empfangen. Bedrohungen der Demokratie gemeinsam begegnen Hinsichtlich der anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament verwies Sobotka auf die Bedeutung der Europäischen Union zur Bewältigung der vielen aktuellen Herausforderungen. Diese würden vom russischen Angriffskrieg über die zunehmende Gefahr durch Desinformation und ausländische Einmischung bis hin zu den Folgen des Klimawandels und den Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz reichen. Man könne Bedrohungen der Demokratie nur gemeinsam begegnen, meinte er. Dies gelte auch für die weltweiten Folgen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Dieser sei ein Anschlag auf die Demokratie und die demokratischen Werte und Errungenschaften. Antisemitismus, in welcher Form und welcher Herkunft auch immer, habe in Österreich und der EU keinen Platz und sei im Kern zu verurteilen. Die Parlamente seien gefordert, gegen die kursierende Desinformation, die Verzerrung von Tatsachen und den besorgniserregenden Anstieg von An - tisemitismus vorzugehen, appellierte Sobotka. Für ein gemeinsames Vorgehen brauche es eine parlamentarische Allianz, die sich der Bekämpfung von Antisemitismus und der Bedrohungen der demokratischen Systeme widme. Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Topf Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (l.) und Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Theodoros Rousopoulos, bei dessen Eintrag ins Gästebuch Demokratiebildung wichtiger denn je Gerade jetzt, wo die Demokratien durch internationale Konflikte unter Beschuß stehen und gezielte Desinformationskampagnen die Wählerschaften zu manipulieren versuchten, werde Demokratiebildung immer bedeutsamer, unterstrich Sobotka einmal mehr. Es sei ihm deswegen ein besonderes Anliegen, dieses Bewußtsein und die Beteiligung an den demokratischen Prozessen zu fördern. Die Demokratiewerkstatt im österreichischen Parlament ermögliche mit ihren Angeboten jungen Menschen, die Prinzipien der Demokratie nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu erleben. Mit dem neuesten Projekt „Parlament kommt zu dir“ würden auch sehr junge Zielgruppen erreicht und dort mit ihnen erarbeitet, was Demokratie für ihr tägliches Leben bedeute. Auch die Erweiterung der Europäischen Union und die strategische Bedeutung der Westbalkanländer war Gegenstand der Erörterung zwischen den beiden Präsidenten. Sie stimmten überein, wie wichtig eine klare EU-Perspektive für diese Region sei. Sobotka berichtete auch von den guten Erfahrungen des österreichischen Parlaments mit dem Stipendienprogramm für MitarbeiterInnen von Parlamentsverwaltungen der Westbal - kanstaaten und regte ein vergleichbares Programm auch für das luxemburgische Parlament an. n Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Wien Anläßlich des 75. Jahrestags der Gründung des Europarats gab der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Theodoros Rousopoulos, in der Nationalratssitzung vom 15.Mai eine Erklärung ab. Er bezeichnete das Friedensprojekt Europarat als Erfolgsgeschichte, wenngleich der Krieg gegen die Ukraine, der Klimawandel und künstliche Intelligenz (KI) aktuelle Herausforderungen darstellten. Krieg gegen Ukraine, Klimawandel und KI als aktuelle Herausforderungen für Europarat Rousopoulos erinnerte eingangs daran, daß der Europarat, dem derzeit 46 Länder »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at angehören, nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt gegründet wurde. Die Staaten haben sich zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Demokratie bekannt mit dem Ziel, einen weiteren Krieg in Europa zu verhindern. Trotz aktueller Rückschläge sieht der Präsident der Parlamentarischen Ver sammlung der Organisation dieses Vorhaben als Erfolgsgeschichte. Er zeigte sich über zeugt, daß die Werte des Europarats der einzige Weg durch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts seien. Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bezeichnete Rousopoulos als An - griff auf das Friedensprojekt. Er betonte, daß der Europarat als erste Organisation Rußland ausgeschlossen habe. Auch das vom Europarat ins Leben gerufene Verzeichnis für Kriegsschäden, um Rußland zur Verantwortung ziehen zu können, hob er hervor. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats stehe vor weiteren Herausforderungen, so der Präsident des Gremiums. Er sprach insbesondere eine Erweiterung der Menschenrechte mit Blick auf den Klimaschutz an. Auch für eine Regulierung und verantwortungsvolle Nutzung von künstli - cher Intelligenz müßten Lösungen gefunden werden. Er zeigte sich erfreut über den Entwurf eines rechtlich bindenden Dokuments zu KI und Menschenrechten und rief Österreich auf, dieses zu unterstützen, sobald es unterzeichnet werden kann. Seit dem Jahr 2015 ist es möglich, ausländische Gäste zur Abgabe einer Erklärung in den Nationalrat einzuladen, wobei bisher erst wenige Male davon Gebrauch gemacht wurde. Für Rousopoulos war seine Erklärung in Wien eine Bestätigung des unermüd-
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 211 / 31. 07. 2024 Österreich, Europa und die Welt 13 lichen Engagements Österreichs für die Werte des Europarats. Österreich sei immer schon ein Schlüsselpartner der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewesen. Ihm sei bewußt, daß es Vorbehalte gebe und er werde gut zuhören – sowohl in der eben geführten Debatte als auch während seiner gesamten Amtszeit, sagte Rousopoulos. Das Parlament sei der Ort, an dem man mit Worten kämpfe und diesen Kampf gelte es zu führen. Er wolle das umsetzen, was echte Führungspersonen von populistischen unterscheide: selbstkritisch in die Zukunft zu schreiten und dabei das eigene Handeln sowie gesetzliche Regelungen zu verbessern. Wer nur blind der Masse hinterherlaufe, sei populistisch. Die Demokratie toleriere alle Stimmen, die Geschichte hebe jene hervor, die die Welt verändern. ÖVP: Europarat ist wichtige Plattform für Dialog und Zusammenarbeit In der anschließenden Debatte hoben die Abgeordneten wiederholt die Bedeutung des Europarats hervor, wiewohl sich die FPÖ kri tisch zur Judikatur des Europäischen Ge - richtshofs für Menschenrechte (EGMR) äußerte. Nirgendwo seien die Menschenrechte so geschützt wie in Europa, machte etwa Reinhold Lopatka (ÖVP) mit Verweis auf die vom Europarat erarbeitete Europäische Menschenrechtskonvention geltend. Auch beim Schutz von Minderheiten und bei der Vorbereitung europäischer Länder auf einen EU-Beitritt spielt der Europarat seiner Meinung nach eine wichtige Rolle. Als Beispiel nannte seine Parteikollegin Carmen Jeitler-Cincelli in diesem Zusammenhang et wa die Integration der Länder des Westbalkans. Sie sieht den Europarat als eine wichtige Plattform für den Dialog und für Zusammenarbeit, zudem fördere er durch verschiedene Programme kulturelle Identität und Vielfalt. Mit drei Generalsekretären und zwei Präsidenten habe auch Österreich viel zur Weiterentwicklung des Europarats beitragen können, betonte Lopatka. Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Topf SPÖ: Europarat darf nicht leiser werden Seitens der SPÖ wies Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures darauf hin, daß 700 Millionen Menschen unter dem Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention leben. Dazu habe der Europarat Dutzende weitere internationale Verträge auf den Weg gebracht. Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität zwischen Menschen und Nationen, das seien die Lehren gewesen, die Europa aus den zwei Weltkriegen gezogen habe. Diese Errungenschaften würden durch unzählige Krisenherde brüchig, warnte Bures. Viele Menschen blickten pessimistisch in die Zukunft, das Vertrauen in demokratische Institutionen sinke. Dem gelte es, sich entgegenzustellen. Der Europarat dürfe nicht leiser werden, mahnte sie. Eine wesentliche Bedeutung in Bezug auf die Stärkung des Vertrauens hat Bures zufolge nicht zuletzt auch die soziale Dimension, sie müsse wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Die Zweite Nationalratspräsidentin sieht Österreich zudem dazu aufgerufen, sich wieder auf seine Tradition zu besinnen, aktiv zu internationalen Konfliktlösungen beizutragen. FPÖ: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte überschreitet sein Mandat Kritisch zur Entwicklung des Europarats in den letzten zwei Jahrzehnten äußerte sich Susanne Fürst (FPÖ). Dieser sei als zwi - schenstaatliche und nicht als supranationale Organisation gegründet worden, erinnerte sie. Durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte würde aber immer stärker in die Souveränität der Mitgliedsstaaten eingegriffen. Das widerspreche der Satzung und der Ziele des Europarats. Statt den Europarat „mit positivem Geist zu füllen“, wird laut Fürst das Vertrauen in diese Organisation zunehmend zunichte ge - macht. Als Beispiele für die ihrer Meinung nach „degenerierte Rechtsprechung“ des EGMR nannte Fürst etwa ein Abschiebeverbot für »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at einen straffällig gewordenen Nigerianer aus Großbritannien, der zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden war. Auch der Klimaschutz-Entscheidung zugunsten Schweizer SeniorInnen kann sie nichts abgewinnen. Fürst forderte Rousopoulos in diesem Sinn auf, eine „Trendumkehr“ einzuleiten. Eine gewisse „Friedensmüdigkeit“ ortet Fürsts Parteikollege Martin Graf. Der Europarat sei zur Festigung des Friedens gegründet worden, sagte er, er habe aber zunehmend das Gefühl, daß dieser Friedensgedanke verloren gehe. Keiner kämpfe mehr für Frieden. Nach Ansicht von Graf wird außerdem die Gefahr durch den in Europa längst angekommenen politischen Islam ignoriert, währen „die rechte Gefahr“ hochstilisiert wer - de. Grüne: »Verzwergung« bringt Europa nicht in die Zukunft Meri Disoski (Grüne) hielt der FPÖ entgegen, daß das Erstarken von Nationalismen und eine „Verzwergung“ Europa nicht in die Zukunft tragen werde, sondern höchstens in den dunklen Teil seiner Vergangenheit zu - rückbringen würde. Rechte und rechtsextreme Parteien, die in Europa „auf Stimmenfang gehen“, würden es nicht gut mit Europa meinen, ist sie überzeugt. Sie sieht es als Aufgabe aller demokratischen Parteien, „felsenfest auf der Seite der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte zu stehen“. Auch mit der Bewertung der Klimaschutz-Entscheidung des EGMR als „degenerative Rechtsprechung“ durch FPÖ-Abgeordnete Fürst kann Disoski nichts anfangen: Diese sei vielmehr richtungsweisend für an - Ein Blick ins Plenum während der Erklärung des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Theodoros Rousopoulos
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