ÖSTERREICH JOURNAL NR. 206 / 20. 03. 2023 Innenpolitik 108 auch Dinge vertreten, die uns nicht schnell, schnell in Meinungsumfragen helfen, aber von denen wir wissen, daß sie richtig und gut für unser Land sind. Wir entwerfen das Bild einer Zukunft, auf die man sich freuen kann, indem wir uns nicht unterkriegen lassen durch Rückschläge und Schwierigkeiten. Weil wir auf unsere Talente, unsere Fähigkeiten, unser Wissen und Können vertrauen. Und weil wir einander vertrauen. Weil wir uns nicht von der Angst steuern lassen. Angst läßt uns erstarren. Angst kennt keine Zukunft. Lassen wir uns also nicht von der Angst das Bild unserer Zukunft diktieren. Sondern von der Zuversicht: „Wir kriegen das hin“ – das sind keine leeren Worte. Wie viel haben wir noch vor knapp einem Jahr, nach dem Angriff Rußlands auf die Ukraine, gehört vom Versiegen unserer Gasressourcen. Wir würden nicht heizen können. Die Industrie stünde vor dem Untergang. Und wie viel davon ist eingetreten? Nicht viel. Im Gegenteil: Wir hatten letztes Jahr ein reales Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent, mehr als die größten Optimisten zu träumen wagten. Und die niedrigste Arbeitslosenquote seit 15 Jahren. Wer hätte das ge - dacht? Und auch unsere Gasspeicher sind aktuell voll. Auch da gab es verständlicherweise große Sorge, daß wir das nicht schaffen. Und selbstverständlich werden wir wei - terhin sehr viel zu tun haben, das alles zu lö - sen. Aber wir haben es geschafft. Wir alle. Nicht ein Politiker. Nicht eine Partei. Nicht eine Interessenvertretung. Nicht ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin. Nein. Das waren wir alle gemeinsam. Aber nicht, weil wir gemeinsam gejammert haben. Nicht, weil wir Schuldige gesucht haben. Nein! Weil wir etwas getan haben. Und wir können noch viel mehr schaffen. Wenn wir unsere Demokratie hochhalten und verteidigen. Denn sie ist das beste Instrument zur Willensbildung, das eine zukunftssichere Gemeinschaft nur haben kann. Foto: Parlamentsdirektion / Bubu Dujmic v.r.: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Bundespräsident Alexander van der Bellen mit seiner Ehefrau Doris Schmidauer und Bundesratspräsident Günter Kovacs Demokratie lebt von Kompromissen Meine Damen und Herren, manche sa - gen: Unsere Demokratie ist in der Krise. Da ist schon etwas dran. Nehmen wir nur einen zentralen Baustein der Demokratie, den Kompromiß. Er wird von manchen gerne von vornherein als halb, als lauwarm, als faul be - zeichnet. Können wir uns das wieder abgewöhnen? Denn was bedeutet Kompromiß? Er bedeutet, daß zwei Standpunkte, nennen wir sie A und B, von denen, die sie jeweils innehaben, verlassen werden. Und gemeinsam ein neuer, gemeinsamer Standpunkt C gefunden wird. Eine gemeinsame Lösung. Ein Kompromiß führt also zu einer Lösung. Das Beharren auf dem eigenen Standpunkt hingegen führt zu gar nichts. Es findet keine Entwicklung statt. Im schlimmsten Fall läuft dieses Beharren auf ein Entweder-oder hinaus, was letztlich nichts anderes bedeutet als eine Frontstellung, wo nichts weitergeht. Der Kompromiß, das Herzstück unserer Demokratie, ist also etwas Gutes! Und wenn uns der Begriff schon zu uninspiriert klingt, dann ersetzen wir ihn doch durch das Wort: gemeinsame Lösung. Das Herz der liberalen De mokratie ist also das Finden einer ge - meinsamen Lösung. Wir können auch mit Menschen auskommen, die mit unserer persönlichen Weltsicht sehr wenig zu tun haben. Wir können das, wenn wir die so notwendige Kulturleistung des Respekts für den jeweils anderen aufbringen. Wenn es uns gelingt, über die Grenzen hinwegzusehen und die Fähigkeiten des anderen zu sehen. Das Gute im anderen zu sehen. Den ganzen Menschen zu sehen. Verantwortungsvoller Umgang mit Informationen als Basis für Demokratie »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at Demokratie, meine Damen und Herren, das Finden einer gemeinsamen Lösung, fußt auf Information. Auf korrekter Information. Ohne eine intakte Medienlandschaft, die Themen umfassend aufbereitet und sich um „The Best Obtainable Version of the Truth“ bemüht, wie es Carl Bernstein, einer der Aufdecker der Watergate-Affäre, formuliert hat, ist auch unsere Demokratie nicht intakt. Denn wir brauchen ein gemeinsames Verständnis über die Beschaffenheit der Probleme, der Fakten und damit der Wirklichkeit. Hätte man mir vor zwanzig Jahren gesagt, daß es einst neben den Fakten auch noch sogenannte „alternative Fakten“ geben wür - de, die scheinbar gleichwertig danebenstehen – zur freien Auswahl sozusagen –, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Es ist bestürzend, daß schlichte Tatsachen oder be– stimmte wissenschaftliche Erkenntnisse auch von manchen politischen Playern bisweilen geleugnet und sogar abgestritten werden. Wenn wir hier nicht klar auftreten und die Dinge beim Namen nennen, steht eines Ta - ges unser gesamtes Gesellschafts- und Wertesystem infrage. Medien spielen dabei eine wichtige Rolle und tragen eine große Verantwortung. Und noch eine Entwicklung bereitet mir in diesem Zusammenhang Sorge: Wie uns Information erreicht und wie diese Information für uns vorselektiert und vor-ausgewählt wird. Viele von uns speisen ihren Blick auf die Welt mittlerweile aus sogenannten sozialen Medien. Das Bild der Welt wird dort mit Hilfe von Algorithmen gezeichnet, die vornehmlich Informationen filtern und pushen, welche nicht unbedingt wahr sein müssen, aber dafür ein möglichst hohes Aufregungspotential in sich tragen. Und die größte Aufregung entsteht nicht durch den objektiven Blick auf die Fakten, sondern durch möglichst radikale Überzeichnung und Verkürzung. Meine Damen und Herren, gewöhnen wir uns bitte wieder ab, der puren Logik der Klicks zu folgen. Die künstliche Aufgeregtheit lenkt uns nur ab von den Dingen, die
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 206 / 20. 03. 2023 Innenpolitik 109 wirklich wichtig sind. Die künstliche Aufgeregtheit verstellt uns den Blick auf die Zukunft. Und deshalb ist es eben von höchster Bedeutung, wie redlich eine Journalistin, ein Journalist recherchiert und berichtet. Dafür müssen aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen im Journalismus passen. Und deshalb sollten wir als Gemeinschaft, als Staat, Medien als wesentliche Säule unserer Demokratie sehen und für eine entsprechende Finanzierung sorgen. Denn liberale Demokratie überlebt nicht ohne korrekte Information. Politik muß Rahmenbedingungen für gelungenes Zusammenleben schaffen Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren sind die Erwartungen an die Politik stark gestiegen. Das mag auch daran liegen, daß wir plötzlich mit archaischen Ängsten konfrontiert wurden: Seuche und Krieg – schreckliche Plagen, die die meisten von uns nur aus Geschichtsbüchern kannten. Plötzlich war eine große Hoffnung da. Die Hoffnung der Bürgerinnen und Bürger, daß die Politik das alles regeln wird. Daß das einfach wieder weg geht. Daß alles wieder gut wird. Das ist nur zu menschlich. Aber was kann Politik überhaupt leisten? Was muß sie leisten können? Politik muß Orientierung geben. Sie muß sagen, was sie weiß und was nicht. Sie muß evidenzbasiert agieren, also auf der Basis der letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Politik muß im Dienste des gesamten Staates und nicht im Interesse einzelner handeln. Sie muß langfristig denken und nicht kurzfristigen Schlagzeilen hinterherrennen. Und sie muß helfen, daß wir mit unseren Ängsten umzugehen lernen. Indem wir aufeinander schauen. Indem wir die Ängste des anderen ernst nehmen. Politik muß auch Rahmenbedingungen schaffen, daß Bürgerinnen und Bürger selbstverantwortlich agieren und sich entfalten können. Wirtschaftlich wie persönlich. Und sie sollte das auch von denen einfordern, die dazu in der Lage sind. Politik muß Lösungen vorschlagen. Sie muß die Agenda setzen und nicht nur surfen. Regieren. Nicht nur reagieren. Politiker müssen führen, nicht verführen. Meine Damen und Herren, Politik muß den Menschen die Wahrheit sagen, auch wenn sie unbequem ist. Menschengemachter Klimawandel als wissenschaftliche Tatsache Foto: Parlamentsdirektion / Johannes Zinner Im Fall der Klimakatastrophe wäre es kurzfristig bequemer für alle, zu sagen, „Ja - ja, das Klima hat sich schon immer gewandelt, das ist völlig normal. Der Neusiedlersee hat einmal mehr, einmal weniger Wasser. Die Schipisten sind einmal weißer, einmal matschiger, aber wir sind eh ausgebucht. Das ist alles kein Grund, unser gewohntes Verhalten zu überdenken.“ Aber dieses bequeme Geschwätz ignoriert naturwissenschaftliche Tatsachen. Die Veränderungen des Klimas sind keine Fake News. Sondern jahrzehntelang wissenschaftlich untersuchte und belegte Fakten. Fakten, die zu ignorieren für die nachfolgenden Generationen lebensgefährlich ist. Wir haben jahrzehntelang versäumt, Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzie - ren. Auch das ist eine Tatsache. Ich verstehe nur zu gut, daß junge Menschen wütend und verzweifelt sind. Es geht um ihre Zukunft. Wir müssen etwas tun! Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der fossilen Energie. Und wir können etwas tun. Ich will jedenfalls das Meinige dazu beitragen. Bundespräsident verurteilt russischen Angriffskrieg gegen Ukraine »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at Meine Damen und Herren, vor fast genau einem Jahr hat Präsident Putin einen schreck - lichen Angriffskrieg gegen die Ukraine be - gonnen. Es ist herzzerreißend, wenn ich an all die unschuldigen Kinder, deren Mütter und Väter denke, Menschen, die einfach nur in Frieden leben wollen. Seit Monaten Bombenangriffe auf zivile Ziele und zivile Infrastruktur. Es ist schrecklich. Es ist verachtenswert. Aber genau deshalb müssen wir alle jetzt zusammenstehen und für das einstehen, woran wir glauben. Putin attackiert unsere Art zu leben. Er nennt uns verweichlicht, er spricht vom dekadenten Westen. Weil er es nicht erträgt, daß wir in individueller Freiheit leben, daß hier jede und jeder so leben kann, wie er oder sie es möchte. Unser freies, europäisches Lebensmodell, aufgebaut auf dem hart erstrittenen Fundament der Menschenrechte, verteidigen wir gerade und müssen wir in Zukunft weiter verteidigen. Wir brauchen weiterhin europäische Solidarität, Wehrhaftigkeit und Entschlossenheit. Zu gleich wird sich Österreich selbstverständlich wo und wann immer das möglich sein wird, für den Frieden einsetzen. Die europäische Solidarität hat jedenfalls gerade in Zeiten der kriegerischen Bedrohung ihr Funktionieren unter Beweis gestellt. Wir kön - nen zweifellos viel als Europäische Union. Und zweifellos können wir noch viel mehr. Allerdings müssen wir uns auch auf dieser Ebene der Wahrheit stellen. Und die ist, daß wir unsere globale Positionierung, unsere geostrategische Rolle erst finden und verteidigen müssen. Denn auch hier stehen wir vor großen Umwälzungen, die wir mitbestimmen können, wenn wir uns rechtzeitig darum kümmern. Andernfalls werden andere über uns bestimmen. Solidarische Gesellschaft und Wohlfahrtsstaat erhalten Meine Damen und Herren, Solidarität auf europäischer Ebene ist das eine. Aber wir brauchen natürlich auch innerhalb Österreichs Zusammenhalt. Zwischen denen, die es leichter haben, und denen, die mehr zu kämpfen haben. Wir dürfen niemanden zu - rücklassen. Insbesondere die Folgen des schrecklichen Angriffskrieges, die Teuerung, v.l.: Bundesratspräsident Günter Kovacs, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer
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