ÖSTERREICH JOURNAL NR. 203 / 04. 07. 2022 164 Kultur den griechischen Texten Flavius Atias ge - nannt wird, in den arabischen ‘Atịyya ibn Ju’ayd. Er ist der erste Distriktsvorsteher, der nachweislich arabischer Herkunft war und später zum Provinzgouverneur (dux Arcadiae et Thebaidis) aufstieg. Im vorliegenden Schreiben übermittelt Atias den Dorfbewohnern von Dikaiu im Arsinoites eine Order des Statthalters ʿAbd al-ʿAzīz, wonach diese eine größere Menge Weizen direkt an arabische Truppen abzuliefern haben: „† Mit Gott! Flavius Atias, der hochberühmte Dux, an Euch, die Bewohner des Dorfes Dikaiu der arsinoitischen Pagarchie, vertreten durch Epimachos. Liefert den Männern des 3. Zweigs der Mudạr, der Einheit von al-ʿAfīf, des Banū Taim ibn al-Hạ̄rit, der Männer des ʿUmāra ibn ʿAbd-Allāh als Anteil der Roga für 643 Leute, 8 Monate, von den 1264 Artaben Weizen 150 Artaben Weizen, hundertfünfzig genau, gemäß einem Befehl des Statthalters ʿAbd al-ʿAzīz, überbracht durch Kosmas, Diener des Rabia, aus dem Restbetrag der Embole (Getreidesteuer) der vergangenen 11. Indiktion. Und wenn Ihr keinen Weizen habt, zahlt ihnen je 20 Artaben 1 ge - rechneten Solidus, einen genau. Am 27. Mesore der 12. Indiktion †.“ Die rechnerischen Angaben in diesem Text sind sehr genau: zu bezahlen sind vom Dorf 150 Artaben (ca. 4.500 kg) Weizen aus einer Gesamtmenge von 1264 Artaben (ca. 37.920 kg). Diese jetzt unmittelbar abzuliefernde Getreidemenge sei für 643 Männer und für den Zeitraum von 8 Monaten be - stimmt. Damit käme jeder der Männer auf eine Ration von etwas unter ¼ Araben (ca. 7,5 kg) pro Monat. Der beschlagnahmteWeizen war direkt an die Männer der Truppe abzugeben. Anweisungen gegen die Flucht der Steuerzahler / Griechisch – Hermopolites, ca. 643/644 n. Chr. – Papyrus © Österreichische Nationalbibliothek Von außerordentlicher historischer Bedeu - tung ist das mehrere hundert Schriftstücke umfassende Dossier des Amtsträgers Senuthios. Die vorwiegend aus Amtskorrespondenz bestehenden Schreiben sind ein bis zwei Jahre nach der Machtübernahme durch die Araber entstanden und geben wesentliche Aufschlüsse über die Etablierung der oben: Bestätigung für den christlichen Bäcker Abba Kire, die Kopfsteuer des Jahres 811 n. Chr. bezahlt zu haben rechts: Order zur Beschlagnahmung von 4,5 Tonnen Weizen © Österreichische Nationalbibliothek
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 203 / 04. 07. 2022 Kultur 165 arabischen Herrschaft. Die Korrespondenz bezeugt einerseits, daß vorerst die byzantinischen Verwaltungsstrukturen bestehen blieben, andererseits ist die Unsicherheit der griechisch-sprachigen Amtsträger bezüglich der Vorgangsweisen der arabischen Militärs spürbar. In diesem Brief teilt der Distriktvorsteher Athanasios seinem Untergebenen Se - nuthios mit, daß auf Anordnung eines Emirs die Kopfsteuer eingeführt wurde. Diese neue Steuer, die alle Männer über 14 Jahren belastete, läßt den Distriktvorsteher befürchten, daß die Steuerzahler aus Angst vor der neuen Steuerlast ihren Wohnsitz aufgeben. Athanasios bittet daraufhin Senuthios, den Dorfvorstehern Befehle zu erteilen, die Grenzen und die Häfen seines Distrikts zu kontrollieren, damit niemand der neuen Steuer entkommen kann. Die Kontrollmaßnahmen betreffen aus - drücklich nicht nur die einfache, ländliche Bevölkerung, sondern auch die Kauf- und Geschäftsleute der Hauptstadt des Distrikts, Hermupolis. Freilassungsbefehl für einen Winzer Griechisch – Hermopolites, ca. 643/644 n. Chr., Papyrus Auch dieses Schriftstück gehört dem Dos sier des Senuthios an. Die Araber benötigten regelmäßig Arbeitskräfte für verschiedene Bauarbeiten, in den ersten Jahren nach der Eroberung insbesondere für den Bau der neuen ägyptischen Hauptstadt al-Fusṭāṭ (Alt- Kairo). Diejenigen, die konnten, versuchten, diesen Zwangsarbeitsleistungen zu entkommen, indem sie auf die Intervention einflußreicher Personen innerhalb oder außerhalb der Verwaltung zurückgriffen. Im vorliegenden Fall muß ein Rechtsanwalt namens Kolluthos bei der Zentralverwaltung des Hermopolites für die Freilassung eines bei ihm be - schäftigten Winzers eingeschritten sein. Das hier vorgestellte Dokument ist eine Anordnung, in der Taurinos, ein hochrangiger Amts - träger des Distriktvorsteher-Büros in Hermupolis, den Senuthios beauftragt, die Freilassung des Winzers zu veranlassen. Liste von Baumaterialien für die neue, arabische Hauptstadt Ägyptens / Griechisch – Hermopolites, ca. 643/644 n. Chr., Papyrus Der Ort, an dem das heutige Kairo steht, war schon immer ein Knotenpunkt von grosser strategischer Bedeutung: Hier teilt sich der Nil in mehrere Arme und das Niltal weitet sich zum ägyptischen Delta. Von hier aus begann ein schiffbarer Kanal zum Roten Meer. Zur Zeit der arabischen Eroberung Ägyptens befand sich hier die wichtige Fe - stungsstadt Babylon, die nicht nur von einer starken Militärgarnison, sondern auch von koptischer und jüdischer Bevölkerung be - wohnt wurde. In Babylon stießen die Araber mehr als anderswo auf erheblichen Widerstand, der sie zwang, nördlich der Festung ein großes Militärlager zu errichten und die Stadt lange zu belagern. Nach der Übergabe der Stadt und dem Abschluß der Eroberung des Landes im Jahre 642 n. Chr. wurde dieses Militärlager in eine echte Stadt umgewandelt: die neue Hauptstadt Ägyptens na - mens al-Fusṭāṭ. Erst später, im 10. Jahrhundert, wurde nördlich von al-Fusṭāṭ, das durch einen Brand zerstört worden war, die heutige Hauptstadt Kairo gegründet. Unter den Pa - pyri des Senuthios-Archivs ist dieser der umfangreichste: eine lange Liste von Baustoffen – Ziegel, Kalk und Pferdemist – die systematisch von den Dörfern und Weilern des Hermopolites geliefert wurden. In der letzten Kolumne des Papyrus gibt ein Brief des Distriktvorstehers Athanasios Anweisung zum Verladen der erforderlichen Materialien auf Nil-Schiffe. Die überaus großen Mengen an Baumaterial lassen erkennen: Diese Ma - terialien wurden für die Errichtung von al- Fusṭāṭ benötigt, dem einzigen Bauvorhaben dieser Größe in den Jahren unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Araber. Zweisprachiges Protokoll eines Kalifen / Griechisch und Arabisch, 705–709 n. Chr., Papyrus Die arabische Verwaltung übernahm einige byzantinische Gepflogenheiten: so zum Beispiel jene, am Beginn einer Papyrusrolle ein Vorsatzblatt mit dem amtlichen Produktionsvermerk („Protokoll“) anzufügen. In diesem Fall kam nun zur Nennung des Herrschers oder Statthalters die Anrufung Gottes (basmala) und Koranverse hinzu. Als 695 n. Chr. Arabisch die offizielle Sprache wurde, gestaltete man die Protokolle zweisprachig – wie jenes in der Ausstellung zu sehende Exponat. © Österreichische Nationalbibliothek Der Rechtsanwalt Kolluthos ist für die Freilassung eines bei ihm beschäftigten Winzers eingeschritten Kunstvolles Empfehlungsschreiben / Arabisch, 8. Nov. 709 n. Chr., Papyrus In diesem eindrucksvollen Beispiel eines nahezu unversehrt erhaltenen Schriftstücks geht es um ein amtliches Empfehlungsschreiben, das mit kunstvoller Schrift von einem speziellen Schreiber der Staatskanzlei, der sogar namentlich genannt wird – Wazi‘ – erstellt wurde. Der arabische Statthalter Qurra ibn Šarīk (709–714 n. Chr.) ersucht den Vorsteher eines mittelägyptischen Distrikts, daß dem christlichen Steuereinnehmer Constans die Arbeit mit den Behörden vor Ort erleichtert werden möge. Durch die hohe Qualität des verwendeten Papyrus sowie seine großzügige, auf optische Wirkung bedachte Gestaltung signalisierte der Brief alleine durch seine äußere Form, daß ein wichtiges Dokument aus der Kanzlei des Statthalters vorliegt. n https://www.onb.ac.at/ »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at
Ausg. Nr. 203 • 4. Juli 2022 Das
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