ÖSTERREICH JOURNAL NR. 203 / 04. 07. 2022 Wirtschaft 118 den und in der Gastronomie um 4,0 % weniger, stieg die Zahl offener Stellen im gleichen Zeitraum um 71,0 % (Beherbergung) bzw. 72,2 % (Gastronomie). Durch den Lohndruck aufgrund des Fachkräftemangels und der hohen Inflationsraten, die steigenden Rohstoff- und Energiepreise sowie die Rückkehr zum üblichen Um - satzsteuersatz in Hotellerie und Gastronomie nach Ablauf der Covid-bedingten temporären Verringerung ist in naher Zukunft mit weiteren erheblichen Preissteigerungen auch im Tourismus zu rechnen. Steigende Kosten werden sich negativ auf die unternehmerische Wertschöpfung auswirken, wurden doch vor allem im Beherbergungswesen Frühbuchungen zu noch niedrigeren Preisen durchgeführt, was die Gewinne schmälern wird. Damit ist der Tourismus nicht nur von den aktuell zu beobachtenden Preiserhöhungen durch steigende Kosten und sinkende Rentabilität selbst betroffen, sondern trägt ebenfalls auch zu einer beschleunigten Inflationsdynamik bei. Wenngleich der Tourismus in der aktuellen Inflationsdynamik nicht wie in den vergangenen Jahren den wesentlichen Preistreiber stellt, könnte die historische Preisentwicklung und der ausgeprägte Fachkräfteman gel in der österreichischen Tourismuswirtschaft im internationalen Wettbewerb um Gäste zum Nachteil gereichen: Nachdem bereits in den Jahren zuvor die Preissteigerungen in den Kernbereichen des heimischen Touris - mus überdurchschnittlich ausgefallen waren (auf Basis des harmonisierten Verbraucherpreisindex; zuletzt im Mai 2022 mit 128,8 in Beherbergung und Gastronomie zu 119,6 ins - gesamt; jeweils Ø 2015=100), und diese Dy - namik hierzulande stärker ausgeprägt war als im europäischen Vergleich, verliert Ös ter - reich trotz ähnlich hoher Inflation in (eu ro - päischen) Ländern bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit an Boden. Zwar konnten vor der Pandemie trotz dieser Entwicklung hohe Wachstumsraten bei den Nächtigungen erzielt werden, im aktuellen Inflationsregime wird dem Preis bei der Urlaubsentscheidung aber eine größere Rolle zukommen, so daß dämpfende Wirkungen auf die Nachfrage nicht auszuschließen sind. Positiv stimmt, daß viele Gäste (vor allem mittlerer und höherer Einkommensschichten) offensichtlich bereit sind, ihr Urlaubsbud get für den heurigen Sommer auszuweiten, um der Teuerung Rechnung zu tragen und ihre Reisepläne nicht beschneiden zu müssen. Das geht aus einer rezenten ÖAMTC-Um - frage unter ÖsterreicherInnen zum Sommerurlaub 2022 hervor. Laut dieser Befragung ist von einer Erhöhung des durchschnittlichen Urlaubsbudgets um 15 % im Vergleich zu 2021 auszugehen. Zudem werden viele Reisen und die betreffenden Aufwendungen tendenziell schon länger im Vorhinein verplant und damit in einem Umfeld hoher und sich beschleunigender Inflationsraten zu einem günstigeren Preis gebucht. Mit einem inflationsbedingten touristischen Konsumrückgang ist somit vermutlich verstärkt erst ab Herbst bzw. zum Jahresende hin zu rechnen. Auch eine größerer Reisewunsch gegenüber den beiden Pandemiejahren kann aus der ÖAMTC-Umfrage abgeleitet werden; demnach ist 2022 die Reisebereitschaft gestiegen (von 72 % im Jahr 2021 auf 83 %). Allerdings werden die Zieldestinationen österreichischer UrlauberInnen in diesem Sommer wieder vermehrt im Ausland liegen (56 % der Befragten, 2021 43 %) – es ist also von gewissen Nachholeffekten bei Auslandsreisen österreichischer Urlaubender, aber auch internationaler Gäste auszugehen, die in den beiden Pandemie-geprägten Sommern zuvor ihren Urlaub bevorzugt im eigenen Land verbracht hatten. Von dieser erhöhten internationalen Reisebereitschaft, verbunden mit dem Wunsch nach Urlaub am Meer, werden vor allem südeuropäische Destinationen profitieren. Auch dem österreichischen Städtetourismus, der von den Auswirkungen der Covid-19-Krise besonders stark getroffen wurde (u. a. Ausbleiben von Fernreisenden, Entfall von (Groß-)Veranstaltungen (Messen, Kongresse, Konferenzen, Kultur-Events), Rückgang der Geschäftsreisetätigkeit) könnten aus diesen Nachholeffekten Impulse er - wachsen. Zu Ostern 2022 gab es erste Anzeichen einer Erholung im Städtetourismus: In Wien wurden erstmals seit Ausbruch der Pandemie wieder über 1 Mio. Nächtigungen in einem Monat verzeichnet, wenngleich die - ser Wert noch immer um ein Drittel unter jenem des April 2019 lag. Zum Vergleich: Im Kalenderjahr 2021 betrug der Nachfragerückstand zum Vorkrisenniveau in der Bun - deshauptstadt noch 71,6 %. Zusammengefaßt wirken folgende Faktoren auf die Entwicklung des österreichischen Sommertourismus: m Die Bereitschaft, nach zwei Jahren Pandemie wieder (mehr und länger) zu verreisen und Urlaub zu machen, ist als sehr hoch einzuschätzen. m Dem gegenüber stehen die aktuell hohen Inflationsraten und die Aussicht auf weiter steigende Preise im Jahresverlauf, vor allem für notwendige Güter (Lebensmittel, Energie), die Nachfrage- bzw. Aus - gaben-dämpfend wirken. m Untere Einkommensschichten werden sich – sofern sie überhaupt einen Urlaub antreten – eher preisbewußt verhalten (kür - zere Aufenthalte, preiswertere Unterkünfte, näherliegende und damit günstigere Destinationen, etc.). m Obere und mittlere Einkommensschichten könnten hingegen die Ersparnisse der letzten beiden Jahre nutzen, um ihre Ur - laubsbudgets an die Preiserhöhungen an - zupassen und Aufenthalte wie vor der Pandemie zu verbringen. m Zu erwarten ist auch eine aus Nachholeffekten resultierende, stärkere Nachfrage nach Reisezielen in Südeuropa, nachdem viele Gäste in den stark von der Pandemie geprägten Jahren 2020 und 2021 fernere Destinationen gemieden und näher bzw. im eigenen Land gelegene Ziele bevorzugt hatten. Dies wird vermutlich jene Monatliche Nächtigungsentwicklung in Österreich Q: Statistik Austria WIFO; WDS – WIFO-Daten-System. – ¹) Laut WIFO-Übernachtungsszenario (Stand: 10.06.2022). »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 203 / 04. 07. 2022 heimischen Destinationen treffen, die in den letzten beiden Jahren als „Ausweichziele“ für den Urlaub im Süden dienten. m Andererseits sprechen sowohl psychologische Effekte des Kriegs in der Ukraine wie auch die deutlich gestiegenen Mobilitätskosten für nähere Reiseziele, wovon in Österreich der Binnentourismus sowie die Nachfrage aus Nahmärkten, insbeson dere aus Deutschland, profitieren könnten. m Der Städtetourismus wird seine Erholung fortsetzen, aber die Nächtigungs- und Um - satzniveaus der Jahre vor der Pandemie auch in den kommenden Monaten nicht erreichen können. Neben dem Konferenztourismus mit langen Planungshorizonten wird auch die Nachfrage aus Fernmärkten weiter (bezogen auf Märkte in Asien und dem Mittleren Osten, teils deutlich) hinter den Niveaus der Jahre vor der Pandemie zurückbleiben. m Die Pandemie bleibt ein Unsicherheitsfaktor: Nicht nur ist im heurigen Sommer mit einer weiteren Infektionswelle zu rech - nen, eine solche könnte auch im Herbst und Winter verstärkt bevorstehen und neu - erlich Reiseinschränkungen notwendig machen. m Darüber hinaus gefährden der Ukraine- Krieg und seine Folgen (Energieknappheit, steigende Preise) die Entwicklung der Tourismuswirtschaft im weiteren Jahresverlauf, wobei es in der Energieversorgung auch zu Einschränkungen des touristischen Angebotes kommen könnte. Für den Sommer 2022 wird unter Be - rück sichtigung der genannten Faktoren bzw. auf Basis der hierzu angenommenen Entwick - lung mit einer Erholung der internationalen Nachfrage auf rund 51 Mio. Nächtigungen ausgegangen (-8 % im Vergleich zum Sommer 2019, +21 % gegenüber der Saison 2021). Im Binnenreiseverkehr, der in den letzten beiden Sommern zur Stütze des heimischen Tourismus wurde, ist damit zu rechnen, daß vor allem die bereits erwähnten Nachholeffekte bei Auslandsreisen dämpfend auf die Nachfrage im Inland wirken und die zum Teil exorbitant hohen Wachstumsraten der letzten beiden Sommersaisonen dieses Jahr nicht mehr erreicht werden können (-½ % zu 2019, -4 % gegenüber Sommer 2021). Insgesamt ergäben sich damit rund 75 Mio. Übernachtungen im Sommer 2022. Gegeben das derzeitige politische und wirtschaftliche Umfeld, aber auch die Ungewissheit über das weitere Infektionsgeschehen, sind diese Prognosen nach wie vor mit großer Unsicherheit behaftet.https://www.wifo.ac.at n Wirtschaft Konjunkturaufschwung verlangsamt sich Im WIFO-Konjunkturtest werden regelmäßig die wichtigsten Hemmnisse für die Geschäftstätigkeit erhoben. In der Sachgütererzeugung hat die Bedeutung des Material- und Personalmangels seit Anfang 2021 deutlich zugenommen (Q: WIFO-Konjunkturtest). Laut Statistik Austria stieg die Wirtschafts - leistung der österreichischen Volkswirtschaft im I. Quartal 2022 um 1,5 % gegenüber dem Vorquartal, nachdem sie im IV. Quartal 2021 gesunken war. Expansive Impulse gingen insbesondere von der günstigen Exportdynamik aus, die ihrerseits die Industrieproduktion anregte. Vorlaufindikatoren deuten jedoch auf eine Eintrübung der Konjunktur im II. und III. Quartal hin. „Ungünstige Angebotsschocks dämpfen zunehmend die wirtschaftliche Dynamik und erhöhen den Preisauftrieb“, so der Autor des aktuellen Konjunkturberichts, Christian Glocker. Die Weltwirtschaft wächst weiterhin, je - doch mit abnehmender Geschwindigkeit. Die Abschwächung des Wachstums – eine Folge des anhaltend hohen Preisauftriebs, ge - störter Lieferketten, der Fortdauer der Covid- 19-Pandemie und des Ukraine-Kriegs – prägt auch in Österreich den Konjunkturpfad. Wenngleich die heimische Volkswirtschaft dadurch Gegenwind in Form einer schwächeren Auslandsnachfrage erfährt, so wirkt dem die weitgehende Lockerung der behördlichen Covid-19-Maßnahmen entgegen. Vor diesem Hintergrund wuchs das BIP in Österreich im I. Quartal 2022 um 1,5 % gegenüber dem Vorquartal, nachdem es im IV. Quartal 2021 geschrumpft war. Auf der Angebotsseite trugen sämtliche Sektoren zur Expansion bei, nachfrageseitig vor allem die Ausweitung der Bruttoanlageinvestitionen, des Kon - »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at 119 sums der privaten Haushalte und der Exporte. Vorlaufindikatoren deuten allerdings auf eine Verlangsamung der Konjunktur hin. Der WIFO-Konjunkturklimaindex notierte im Mai deutlich unter dem Wert des Vormonats, blieb jedoch im positiven Bereich und über dem langjährigen Durchschnitt. Der UniCredit Bank Austria Einkaufs-ManagerIndex ging im Mai im Vormonatsvergleich ebenfalls zu - rück. Auch das geringe Verbrauchervertrauen trübt den Ausblick. Die gesamtwirtschaftliche Expansion hin - terläßt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung wächst weiterhin kräftig (Mai: voraussichtlich +2,8 % gegenüber dem Vorjahr), während die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Beschäftigung ist nach wie vor höher als im Winter 2020 vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie, die Arbeitslosigkeit deutlich niedriger. Mit dem Aufschwung ist allerdings auch die Arbeitskräfteknappheit der Vorkrisenjahre zurückgekehrt: Laut WIFO- Konjunkturtest ist der Personalmangel ein we sentliches Hemmnis der Wirtschaftstätigkeit, und zwar in noch höherem Maße als vor der Pandemie. Der Preisauftrieb ist anhaltend hoch. Die seit längerem beobachteten zweistelligen Zuwachsraten bei den Produzentenpreisen schlagen sich zunehmend in den Verbraucherpreisen nieder. Letztere legten im April abermals deutlich zu (+7,2 % gegen - über dem Vorjahresmonat, Schnellschätzung für Mai + 8%; laut VPI). n
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