ÖSTERREICH JOURNAL NR. 201 / 20. 12. 2021 Österreich, Europa und die Welt Erinnern 2.0 Die Uni Graz gestaltet eine digitale Landkarte mit Gedenkorten für NS-Opfer DERLA ist ein interdisziplinäres Dokumentations- und Vermittlungsprojekt des Centrums für Jüdische Studien (CJS), des Zentrums für Informationsmodellierung (ZIM), dem Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik der Karl-Franzens-Universität Graz und von _erinnern.at_ – Nationalsozialismus und Holocaust: Gedächtnis und Gegenwart. Neben der Dokumentation aller Erinnerungs - orte und -zeichen für die Opfer sowie die Orte des Terrors des Nationalsozialismus in Österreich setzt es sich die Entwicklung di - gitaler Vermittlungsangebote zum Ziel. Den Überlegungen des französischen Historikers Pierre Nora folgend sind Erin - nerungsorte Orte mit Bedeutung für das individuelle und kollektive Gedächtnis. Sie ha - ben eine Sinngebungsfunktion und sind Teil des kulturellen Gedächtnisses. Erinnerungs - orte sind Berührungspunkte zwischen Vergangenheit und Zukunft, Schnittstellen zwischen Geschichte und Gedächtnis. Setzt man die einzelnen Erinnerungsorte zueinander in Beziehung, so werden Erinnerungsräume aufgespannt. In DERLA sind diese unterschiedlichen Erinnerungsorte und Erinnerungsräume Teil einer Erinnerungslandkarte, die Erinnerungsorte an die Opfer und den Terror des Nationalsozialismus zum Zeitpunkt des Jahres 2020 sichtbar macht. Die Dokumentation der Zeichen ist in den Bundesländern Steiermark und Vorarlberg vorerst abgeschlossen, in Tirol und Kärnten am Laufen und weitere Bundesländer sollen in den kommenden Jahren dazu kommen. Zentral ist hierbei, daß in der Erinnerungslandkarte die unterschiedli - chen Zeitschichten der Erinnerung und da - mit auch die Transformationen der Erinnerungskultur sichtbar gemacht werden. Doch während Pierre Nora unter Erinnerungsorten nicht nur physische Orte, sondern auch immaterielle Orte, wie beispielsweise Mu sik, Konzepte, Texte, Erzählungen und Ideen versteht, arbeitet DERLA den Bedürfnissen einer Landkarte genügend mit rein to - pographischen Orten, die mit GPS-Koordinaten versehen und innerhalb der Erinnerungslandschaft verortet werden können. DERLA unterscheidet weiters zwischen manifesten und nicht-manifesten Erinnerungsorten. Unter manifesten Erinnerungsor - ten werden jene verstanden, die durch Erinnerungszeichen (Denkmäler, Gedenktafeln, u.a.) als Erinnerungsorte im öffentli - chen Raum sichtbar gemacht werden. Nichtmanifeste Erinnerungsorte sind Erinnerungsorte, die bislang über kein öffentlich sichtbares Erinnerungszeichen verfügen, jedoch einen historischen Bezug zu den Opfern und/ 82 oder dem Terror des Nationalsozialismus aufweisen. Ihnen wird mit DERLA ein virtuelles Zeichen gesetzt. Erinnerungszeichen markieren zum einen Erinnerungsorte und machen diese in der Öf - fentlichkeit sichtbar. Sie können aber zum anderen auch selbst zu Erinnerungsorten wer - den und sind ein Verweis auf Ereignisse, Erfahrungen und Verbrechen, die der Nationalsozialismus zu verantworten hat, sowie intentionaler Ausdruck der Erinnerungskultur bestimmter Gruppen. In einem Work in Progress wurden bislang folgende unterschiedliche Arten von Erinnerungszeichen festgemacht: Verkehrsfläche (Straße, Brücke, Gasse, Weg, Platz, Passage, Arkade), Siedlung, Gebäude, Stolperstein, Grabanlage, Einzelgrab, Denkmal (Freimonument, Skulptur, Gedenkstein, Statue), Inschrift, Gedenktafel, Gefallenendenkmal, Künstlerische Intervention, Brunnen, Religiöse Zeichen und Orte (Glasfenster, Kapelle, Glocke, Altar, Orgel, Bild, Gip - felkreuz). Jedes/r Erinnerungszeichen/Erinnerungsort wird in DERLA mit zumindest zwei zeitgenössischen Fotografien dokumentiert. Eine zeigt jeweils das Erinnerungszeichen selbst und ein zweites Bild fängt das lokale Setting des Zeichens ein, um damit Fragen © Centrum für Jüdische Studien, Universität Graz Screenshot der „Karte der Erinnerung“ – Centrum für Jüdische Studien, Universität Graz »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 201 / 20. 12. 2021 Österreich, Europa und die Welt 83 der öffentlichen Sicht- oder Unsichtbarkeit nachzugehen. Zudem werden Inschriften, sofern sie nicht auf den Bildern lesbar sind, transkribiert. Alle in DERLA dokumentierten manifesten und nicht-manifesten Erinnerungsorte werden in der digitalen Erinnerungslandkarte erfaßt und bilden zusammen die seit 1945 geformte Erinnerungslandschaft. Jeder Er - innerungsort wird mit Informationen zu dem historischen Ereignis oder den Personen, an die erinnert wird, ebenso wie zur Geschichte des Erinnerungszeichens und Ortes selbst versehen. Weiters werden die Erinnerungszeichen und -orte zur besseren Orientierung der NutzerInnen sowie in Bezug auf die Vermittlungsangebote unterschiedlichen Kategorien zugeordnet. Diese Kategorien orientieren sich an der Intention der StifterInnen und ErrichterInnen der Erinnerungszeichen sowie im Fall der nicht-manifesten Erinnerungsorte an den historischen Ereignissen/Erfahrungen, die mit dem jeweiligen Ort verbunden sind. Nach derzeitigem Erhebungsstand der Erinnerungszeichen in der Steiermark, Vorarlberg und Tirol sind diese Kategorien: Widerstand (politisch, religiös, individuell); Jüdische Opfer (Gemeindeeinrichtungen, Jü - dische Gemeinde, Als Jude oder Jüdin verfolgt, Todesmarsch); Roma/Romnija, Sinti/ Sintizze, Lovara/Lovarizza; Jenische; NS- Euthanasieopfer; ZwangsarbeiterInnen; NS- Terror (Gestapo-SS-NSDAP, Hinrichtungsstätte, KZ, Gefängnis, Justiz); Soldaten (Wehrmacht, Deserteure, Alliierte); Zivile Opfer; Homosexuelle Opfer sowie Kollektive Erinnerungszeichen. DERLA nimmt Kriegerdenkmäler, die an Wehrmachtssoldaten erinnern, nur exemplarisch auf, um an - hand dieser wenigen die Transformationen der Erinnerungskultur in Österreich seit 1945 zu thematisieren oder wenn fälschlicherweise Opfer des Nationalsozialismus wie zum Beispiel hingerichtete Deserteure auf den Denkmälern als gefallene Wehrmachtssoldaten gelistet wurden. Aufgrund der Intersektionalität der Verfolgungsgründe können einzelne Erinnerungszeichen und -orte mehreren dieser Ka te - gorien zugeordnet werden. Zugleich ist festzuhalten, daß mit dieser Zuordnung zu einzel - nen Kategorien keinerlei Hierarchisierung zwischen unterschiedlichen Opfergruppen oder eine Essentialisierung verbunden ist. DERLA ist den FAIR Data Principles verpflichtet und seine Daten werden mit dem Geisteswissenschaftlichen Asset Management System (GAMS) des ZIM-ACDH langzeitarchiviert. Foto: Sabrina Melcher Der Stolperstein für Melanie Lachs ist Teil der digitalen Erinnerungslandschaft Biographien und Orte Mehr als 1000 Biographien und 540 Orte zeichnen allein in der Steiermark Spuren von Opfern, WiderstandskämpferInnen und Er - eignissen während des Nationalsozialismus nach und wie wir uns heute daran erinnern. Die interaktive Karte führt unter anderem zu der Hinrichtungsstätte am Landesgericht in Graz, den KZ-Außenlagern in Bretstein und Aflenz sowie dem zerstörten jüdischen Bet - raum in Leoben. Projektleiter Gerald Lamprecht, Leiter des Centrums für Jüdische Studien an der Universität Graz, erklärt: „In einer ersten Stufe sind derzeit die Erinnerungszeichen in der Steiermark und in Vorarlberg erfaßt. An Tirol und Kärnten arbeiten wir intensiv. Das Burgenland steht in den Startlöchern. Wien folgt 2023.“ Neben einem Archiv der Namen mit näheren biographischen Informationen werden auch spezielle kuratierte Routen angeboten: etwa in welcher Form an die Todesmärsche ungarisch-jüdischer ZwangsarbeiterInnen durch die Steiermark gedacht wird. Ein weiterer zentraler Bestandteil des Projektes ist die Vermittlung an Jugendliche. „DERLA bietet zahlreiche digitale Angebote an. Das historische Lernen kann sowohl vor Ort als auch im Klassenzimmer erfolgen“, unterstreicht der Zeithistoriker. Projektziele DERLA zielt auf die vollständige Dokumentation aller manifesten Erinnerungsorte und -zeichen in Österreich ab. Das bedeutet, »Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at daß diese mit zwei aktuellen Fotografien abgebildet, mit weiterführenden Informationen zum/r erinnerten historischen Ereignis/ Person und dem Zeichen selbst beschrieben und auf einer digitalen Karte verortet werden. Zudem werden im Archiv der Namen auf den Erinnerungszeichen genannten Personen biographisch erfaßt. DERLA zielt auf die Entwicklung einer digitalen Erinnerungspädagogik und Ge - schichtsvermittlung ab und stellt den NutzerInnen unterschiedliche Vermittlungsangebote zur Verfügung. DERLA stellt ein durch seine graphische und sprachliche Gestaltung niederschwelliges Angebot an historisch und politisch interessierte Menschen dar. Die Zielgruppen von DERLA sind historisch und politische interessierte Menschen sowie Jugendliche und LehrerInnen an österreichischen Bildungseinrichtungen. Die Daten von DERLA werden langzeitarchiviert und folgen dem FAIR Data Principles (Findable, Accessible, Interoperable, Re - usable). DERLA macht die Erinnerungsorte- und -zeichen für die Opfer sowie die Orte des Terrors des Nationalsozialismus in Österreich sichtbar und versteht sich selbst auch als Forschungs- und digitales Erinnerungsprojekt. Damit will DERLA einen Beitrag zur lebendigen Erinnerungskultur und zur Holocaust-Education leisten. n http://www.erinnerungslandschaft.at/ https://www.erinnern.at/
Ausg. Nr. 201 • 20. Dezember 2021
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© Privatbesitz, Foto: Leopold Muse
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