ÖSTERREICH JOURNAL NR. 199 / 22. 06. 2021 Personalia »Den Dingen juristisch und mit Herz auf den Grund gehen« Erich Kussbach, Botschafter i.R., ist seit 20 Jahren Mitglied der Schiedsinstanz für Naturalrestitution. Ein Beitrag zu seinem 90. Geburtstag. 118 Foto: privat Mitglied der Schiedsinstanz für Naturalrestitution, Botschafter Erich Kussbach Im Jahr 2001 verpflichtete sich Österreich im Zuge der Restitutionsverhandlungen mit den USA und Opfervertretern, offene Fragen der Entschädigung und Restitution von Vermögen, das während der NS-Zeit entzogen wor den war, zu lösen. Dazu wurde unter an - derem eine unabhängige, dreiköpfige „Schieds instanz für Naturalrestitution“ eingerichtet, die Anträge auf Rückstellung von entzogenem Vermögen im öffentlichen Ei - gen tum prüfte. In jenen Fällen, in denen solches Vermögen, mehrheitlich Liegenschaften, bis 2001 nicht bzw. nicht vollständig zu - rückgegeben worden war oder eine entsprechende frühere Entscheidung „extrem ungerecht“ gewesen war, konnte die Schieds - instanz eine Naturalrestitution empfehlen. Von österreichischer Seite wurde Botschafter Erich Kussbach als Mitglied der Schiedsinstanz nominiert. Dieser war von Hans Winkler, dem ehemaligen Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenministerium und maßgeblich Beteiligten an den Verhandlungen zum so genannten Washingtoner Abkom - men von 2001, zur Mitarbeit in der Schieds - instanz eingeladen worden. Erich Kussbach blickt auf eine bewegte Familiengeschichte zurück. Sein Vater, Franz Kussbach, war in der Zwischenkriegszeit Rechtsanwalt in Ungarn. Er verhalf während der Besetzung Ungarns durch das Deutsche Reich vielen jüdischen Berufskollegen und Freunden zur Flucht und wurde 1944 von der Gestapo in das KZ Dachau deportiert. Er entging nur durch Glück und Zufall seiner Ermordung auf einem Todesmarsch. Erich Kussbach selbst entkam im Zuge des ungarischen Volksaufstandes 1956, der sich heuer zum 65. Mal jährt, auf spektakulä - re Art und Weise den sowjetischen Besatzern. Als vermeintliches Mitglied eines Teams von Rotkreuz-Helfern konnte er per Rettungsflugzeug fliehen. Erst später wurde ihm klar, daß ihn der Flug nicht nur aus der Gefahrenzone, sondern über die Landesgrenze nach Österreich gebracht hatte. Somit war er einer der ersten Flüchtlinge der ungarischen Revolution. 1963 trat Kussbach in den Diplomatischen Dienst Österreichs ein, war zuletzt Botschafter in Ungarn und bis 1996 ständiger Vertreter bei der Internationalen Donaukommission. Er ist Honorarprofessor für Hu - manitäres Völkerrecht der Universität Linz und war Professor für Völkerrecht an der Katholischen Pázmány Péter Universität Budapest. Nach seiner beruflichen Karriere setzte sich Erich Kussbach nicht zur Ruhe, sondern widmete sich ab 2001 den Aufgaben als Mitglied der Schiedsinstanz für Naturalrestitution. Diese Funktion übt er so wie seine beiden Kollegen, die Juristen Josef Aicher und »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 199 / 22. 06. 2021 Personalia 119 August Reinisch, seit nunmehr 20 Jahren ehrenamtlich und mit großer Hingabe aus. 2020 hat die Schiedsinstanz ihre Entscheidungstätigkeit zu Ende geführt und wird in Kürze ihren Schlußbericht in Buchform auf Deutsch und Englisch veröffentlichen. Im Gespräch erklärt Erich Kussbach die Intention der Schiedsinstanz: „Ziel war es, mit Herz und nicht nur juristisch den Sachen auf den Grund zu gehen. Die Antragstel - lerInnen – zumeist Erben der Verfolgten – sollten mehr über die Umstände des Vermögensentzugs erfahren, als sie vorher gewußt haben.“ Deshalb wurde versucht, AntragstellerInnen aktiv zu unterstützen und die einzelnen Fälle in den Entscheidungen sehr ausführlich zu dokumentieren. Die Schiedsinstanz für Na turalrestitution sollte der „Ab - schlußstein“ in einer Reihe von diesbezüglichen Maßnahmen und Bemühungen seit dem Ende des NS-Regimes sein. Es könne kein Ende der Beschäftigung mit der Geschichte und den Folgen des Nationalsozialismus geben, so Botschafter Kussbach: „Es gibt nichts Abschließendes, weder geistig noch materiell.“ Daher müsse weiter etwas getan werden, denn die nächste Generation werde sonst nichts mehr über die NS-Zeit wissen. Zur Person Erich Kussbach m Hon.-Prof. DDr. Dr.h.c. Erich Kussbach LL.M., Botschafter i.R., geboren 5. Mai 1931. m Ehemaliges Mitglied der Internationalen Humanitären Ermittlungskommission, Gründungsprorektor der „Gyula Andrássy Deutschsprachige Universität Budapest“, österreichischer Botschafter i. R., m ordentliches Mitglied der europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. m 1953, 1958 Universitäten Budapest und Wien (Dr. iur.; Dr. rer. pol.), 1961 Yale University (Master of Law). m 1963 Eintritt in den Diplomatischen Dienst Österreichs. Zuletzt Botschafter in Ungarn und ständiger Vertreter bei der Internationalen Donaukommission 1993–1996. m Seit 1996 Honorarprofessor für Humanitäres Völkerrecht der Universität Linz. m Bis 2008 Professor für Völkerrecht an der Katholischen Pázmány Péter Universität Budapest. m Verfasser zahlreicher Publikationen auf dem Gebiet des Völkerrechts, des internationalen Privatrechts, der Rechtsphilosophie und der Politikwissenschaft. Foto: Nikolaij Kreinjobst Die zweisprachige Buchreihe „Entscheidungen der Schiedsinstanz für Naturalrestitution“ erscheint im Facultas-Verlag, Wien. m Seit 2001 von Österreich ernanntes Mitglied der Schiedsinstanz für Naturalrestitution. m Am 5. Mai 2021 beging Erich Kussbach seinen 90. Geburtstag. Zur Schiedsinstanz für Naturalrestitution Bei der Schiedsinstanz für Naturalrestitution wurden insgesamt 2.307 Anträge ge - stellt; bei 140 Anträgen wurde die Liegenschaftsrestitution empfohlen. Die Mehrzahl der Rückstellungsempfehlungen der Schiedsinstanz betraf unterschiedlich beschaffene und genutzte Liegenschaften in ganz Österreich. Die Bandbreite reichte von Wiener In - nenstadtpalais, Zinshäusern, Gemeindebauten, Kleingartensiedlungen, militärisch ge - nutzten Liegenschaften bis hin zu Wald-, Wiesen- oder Straßenflächen im Eigentum »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at der Republik Österreich, der Stadt Wien, der Länder Niederösterreich und Oberösterreich oder der Gemeinden Bad Vöslau, Frauenkirchen, Mattersburg und Schwechat. Wenn eine Restitution zwar grundsätzlich angezeigt, aber in natura nicht zweckmäßig oder durchführbar war, wie etwa bei heutigen Straßengrundstücken, Schulen oder Gemeindebauten, sprach die Schiedsinstanz einen vergleichbaren Vermögenswert in Form einer Geldsumme zu, die auf Basis eines Sachverständigengutachtens zum heutigen Verkehrswert der Liegenschaft ermittelt wurde. Den Empfehlungen der Schiedsinstanz wurde von den öffentlichen Eigentümern zu 100 Prozent Folge geleistet. Der Gesamtwert der Liegenschaften, deren Restitution die Schiedsinstanz empfohlen hat, beläuft sich auf geschätzte 48 Millionen Euro. n https://www.entschaedigungsfonds.org/
Ausg. Nr. 199 • 22. Juni 2021 Das
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Foto: Parlamentsdirektion / Johanne
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