ÖSTERREICH JOURNAL NR. 198 / 19. 04. 2021 Kultur 116 strative Einheit dargestellt. Umgangssprachlich wurde die Region Deutschwestungarn bezeichnet und umfaßte im Wesentlichen die größtenteils von Deutschen und Kroaten be - siedelten Teile der Komitate Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg. Die Themenpalette der Sonderausstellung reicht von den revolutionären Ereignissen 1848, dem österreichisch-ungarischen Ausgleich, von den Anfängen der Arbeiterbewegung mit einhergehender Industrialisierung der Region, bis hin zur Schul- und Magyarisierungspolitik einer sich verändernden Gesellschaft. Am Ende dieser Epoche stand mit dem Ersten Weltkrieg die „Urkatastrophe des 20 Jahrhunderts“ und der Zusammen - bruch der Monarchie. Österreich und Ungarn sollten von diesem Zeitpunkt an getrennte We ge gehen. Zeitreise durch die Region Die historische Zeitreise durch die Re - gion beginnt mit dem Revolutionsjahr 1848, welche die Befreiung der „burgenländischen“ Bauern vom Untertanentum brachte. Die ersehnten bürgerlichen Freiheiten und eine ungarische staatliche Souveränität blieben jedoch verwehrt. Mit dem so genannten „Ausgleich von 1867“ erhielt Ungarn eine größere politische Eigenständigkeit zugestanden. Verbindendes Element der beiden Reichshälften war das Haus Habsburg mit der Figur von Franz Joseph I., der als österreichischer Kaiser bzw. als ungarischer Kö - nig fast 70 Jahre regierte. © Sammlung Martin Übelher, Oberwart © Burgenländisches Landesarchiv, Fotosammlung SchülerIinnen und Lehrpersonal der Evangelischen Schule in Oberwart, 8. April 1897 Industrialisierungwelle Der westungarische Grenzraum war ein eher agrarisch strukturiertes Gebiet mit we - nigen Städten und Industrieanlagen. Einen wesentlichen Ansatzpunkt zur industriellen Aktivierung des heutigen Burgenlandes bo - ten die vorhandenen Bodenschätze. Aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte, bedingt durch den Eisenbahnbau und technische Innovationen, eine Industrialisierungswelle ein. Die Volkszählung des Jahres 1910 ergab, daß 59,4 Prozent der damaligen westungarischen Wohnbevölkerung im Land- und Forstwirtschaftssektor be schäftigt waren, aber schon immerhin 24,8 Prozent in Industrie und Gewerbe. Mit zunehmender Industrialisierung ging auch die Entstehung einer Arbeiterbewegung einher. Die Arbeiterbewegung Westungarns war maßgeblich von den Entwicklungen in Wien und Niederösterreich beeinflußt. Ar - beitskräfte, die in der westungarischen Land - wirtschaft keine Anstellung fanden, absorbierte die wachsende Industrie Wiens und des Wiener Beckens. »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at »Sozial demokratische Arbeiterpartei Österreichs« Diese Wanderarbeiter können als Träger der burgenländischen Ar beiterbewegung be - zeichnet werden. Zu Ostern 1874 fand in Neudörfl der Gründungsparteitag der „Sozial- demokratischen Arbeiterpartei Österreichs“ statt, an dessen Zustandekommen die westun - garische Bewegung aber wenig Anteil hatte. Der vermutlich erste Streik im Burgenland fand 1885 in Siegendorf statt, als die Patzenhofer’schen Meierhofarbeiter eine bessere Entlohnung forderten. Im Jahr 1889 streikten die Zuckerfabriksarbeiter von Siegendorf, und am 1. Mai 1890 legten die Arbeiter der neugegründeten Jutefabrik in Neufeld ihre Arbeit nieder. Aus dem 1892 gegründeten Arbeiterbildungsverein entstand 1893 in Ödenburg die erste Sozialdemokratische Parteiorganisation Deutschwestungarns. Schulwesen Mit dem Ausgleich von 1867 beschritten die beiden Reichshälften endgültig unterschiedliche Pfade in der Schul- und Bildungspolitik. Das ungarische Volksschulwesen wurde im Jahr 1868 neu geregelt. Der Staat hatte aber über alle Trägerformen die Schulaufsicht, doch aufgrund des Übergewichtes an katholischen Gemeindeschulen ge - wann die Kirche einen dominierenden Ein- Eröffnung der (heute eingestellten) Bahnlinie Güssing–Körmend in Güssing, 1899
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 198 / 19. 04. 2021 Kultur 117 © Burgenländisches Landesarchiv, Fotosammlung Bewaffnete Freischärler vor der Martin-Kaserne Eisenstadt, 1921 und zur Pflege des kulturellen Lebens der „Deutsche Kulturbund“ gegründet. In Deutschwestungarn wurde das System großteils von sozialdemokratischen Funktionären getragen. Durch die zunehmend chaotischer werdende Entwicklung der Räterepublik wandten sich schließlich immer mehr dem Gedanken des Anschlusses an Österreich zu, eine Transformation der Autonomie- in eine Anschlussbewegung war die Folge. Die Republik Österreich entstand auf Grundlage der Verträge von St. Germain (1919) und Trianon (1920), und es waren auch diese Verträge, welche die Angliederung Deutschwestungarns als eigenständiges Bundesland an die Republik Österreich er - möglichten. fluß auf das Bildungssystem Deutschwest - ungarns. Im Jahr 1900 gab es 365 Volksschu - len, sieben Bürgerschulen, ein Gymnasium, ein k.u.k. Kadetteninstitut und eine Lehrerbildungsanstalt, sodaß man festhalten kann, daß das Bildungssystem Deutschwestungarns gut entwickelt war. Während die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts eine liberale Minderheitenpolitik mit sich brachte, wurde die ab den 1890er- Jah ren verstärkt spürbare Assimilationsbzw. Magyarisierungspolitik von Deutschen und Kroaten als besonders belastend empfunden. Einen neuen Höhepunkt des magyarischen Nationalismus bildete das Schulgesetz von 1907, mit dem die staatliche Kontrolle und der Unterricht in ungarischer Sprache auch auf die nicht staatlichen Ge - meinde- und Konfessionsschulen ausgedehnt wurde. Weltkrieges: Etwa 8.000 Burgenländer sind im Krieg gefallen. Die Auswirkung auf die Bevölkerung war aber weit tiefgreifender. 20.000 Burgenländer kamen als Invaliden vom Krieg zurück und waren auf die Betreuung innerhalb des Familienverbandes angewiesen. 5.000 Burgenländerinnen wurden zu Kriegswitwen und rund 12.000 Kinder wuchsen ohne Vater auf. Die europäische Großmacht Österreich- Ungarn zerfiel in einzelne Nationalstaaten mit neuen, meist strittigen Grenzverläufen. Die nur kurz währende kommunistische Räterepublik in Ungarn brachte den drei westlichen Komitaten des „Gaues Deutsch- Westungarn“ die lang ersehnte Autonomie. Amtssitz wurde Ödenburg. Dem „Gaurat“ durften nur Vertreter der deutschen Volksgruppe angehören; in Schulen und Amtsgebäuden wurde Deutsch wieder zugelassen Kriegsähnliche Zustände Am Ende einer viele Jahrhunderte dauernden Allianz zwischen Österreich und Un - garn standen kriegsähnliche Zustände, in de - nen sich vom ungarischen Staat unterstützte Freiwilligenverbände und österreichische Gendarmerie, Zollwache und Bundesheer ge - genüberstanden und die 89 Todesopfer forderten. Dieser Blick auf die Entstehungsgeschichte des Burgenlandes zeigt, daß es nicht so selbstverständlich war, ein neues Bundesland von Österreich zu werden. Die Sonderausstellung kann in mehreren Räumen der Burg Güssing ab 29. April bis Oktober 2021 sowie von März bis Oktober 2022 besichtigt werden und ist ein gemeinsames Projekt des Landes Burgenland, der Stiftung Burg Güssing und des Savaria-Mu - seums Szombathely. n https://www.burgenland.at/vondeutschwestungarn Fortschritt mit Schattenseiten Das 19. Jahrhundert zeichnete sich auch durch einen enormen Modernisierungsschub aus. Neue Techniken eroberten den Alltag der Menschen (Eisenbahn, Elektrifizierung, Telefon- und Telegrafennetz, Automobil). Die Welt begann mobil zu werden, jedoch hatte der Fortschritt auch seine Schattenseiten. Tägliche Arbeitszeiten von 12 bis 16 Stunden waren keine Seltenheit und Kinderarbeit ein weit verbreitetes Übel. Kinder ar - beiteten als schlechtbezahlte, rechtlose Hilfskräfte auf den Meierhöfen, in den Fa - briken und Manufakturen. Die Urkatastrophe des 20 Jahrhunderts Am Ende dieser Epoche stand mit dem Ersten Weltkrieg die „Urkatastrophe des 20 Jahrhunderts“ und der Zusammenbruch der Monarchie. Die traurige Bilanz des Ersten © Burgenländisches Landesarchiv, Fotosammlung Einzug berittener österreichischer Gendarmerietruppen auf der Hauptstraße in Eisenstadt, 1921 »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
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