ÖSTERREICH JOURNAL NR. 197 / 12. 02. 2021 Wissenschaft & Technik Krebszellwanderung und Gewitter im Gehirn: Mechanismus schützt G3BP Proteine hemmen den Stoffwechsel-Treiber MTOR – ein Signalprotein, das bei Tumorerkrankungen und Entwicklungsstörungen des Gehirns eine zentrale Rolle spielt. Zu diesem Ergebnis, das neue Chancen für personalisierte Therapien bei Krebs und neuronalen Erkrankungen eröffnen könnte, kamen WissenschaftlerInnen der Uni ver - sität Innsbruck und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gemeinsam mit der Medizinischen Universität Innsbruck und einem europaweiten Forschungsnetzwerk. Das Signalprotein MTOR (Mechanistic Target of Rapamycin) ist ein Sensor für Nähr - stoffe wie Aminosäuren und Zucker. Wenn genügend Nährstoffe zur Verfügung stehen, kurbelt MTOR den Stoffwechsel an und sorgt dafür, daß ausreichend Energie und Bausteine für das Wachstum und die Funktion aller Zellen im menschlichen Körper zur Verfügung stehen. „Weil MTOR ein derart zentraler Schalter für den Stoffwechsel ist, führen Fehler in seiner Aktivierung zu ernsten Krank heiten. Dies sind zum Beispiel Krebserkrankungen, die mit übermäßiger Stoffwechselaktivität, Zellwachstum und -ausbreitung ein hergehen. Auch Fehlentwicklungen des Nervensystems, die zu Schwierigkeiten in der Reizverarbeitung bis hin zu Verhaltensstörungen und Epilepsie führen, können die Folge sein, wenn MTOR fehlgeschaltet ist“, erklärt Kathrin Thedieck, Professorin für Biochemie an der Uni Innsbruck. Um Fehler in der MTOR-basierten Signalverarbeitung zu verhindern, kontrolliert die Zelle seine Aktivität sehr genau. Dies tut sie unter anderem durch sogenannte Suppres - soren. Das sind Moleküle, die ein Protein hemmen und dabei helfen, seine Aktivität zu dosieren. Der TSC Komplex ist so ein Suppressor für MTOR. Er ist nach der Erkrankung, die sein Fehlen hervorruft, benannt – der Tuberösen Sklerose (engl. tuberous sclerosis, TSC). Der TSC Komplex sitzt gemeinsam mit MTOR an kleinen Strukturen in der Zelle, den sogenannten Lysosomen, und hält dort MTOR in Schach. Wenn der TSC Komplex – beispielsweise durch Veränderungen (Mutationen) in einer seiner Komponenten – nicht mehr am Lysosom bleibt, kann dies zu übermäßiger MTOR Aktivität mit schweren gesundheitlichen Folgen führen. Foto: Universität Innsbruck / Andi Friedle Foto: DKFZ Heidelberg / Susanne Röck Univ.-Prof. Kathrin Thedieck Christiane Opitz Protein mit Ankerfunktion Die Teams um Kathrin Thedieck an der Universität Innsbruck und Christiane Opitz am DKFZ erforschten deshalb, auf welche Weise der TSC Komplex an Lysosomen bindet. Hierbei entdeckten sie, daß die G3BP Pro - teine (Ras GTPase-activating protein-binding protein) zusammen mit dem TSC Komplex an Lysosomen sitzen. Dort bilden die G3BP Proteine einen Anker, der dafür sorgt, daß der TSC Komplex an die Lysosomen binden kann. Diese Ankerfunktion spielt in Brustkrebszellen eine entscheidende Rolle. Ist die Menge von G3BP Proteinen in Zellkulturen vermindert, so führt dies nicht nur zu einer erhöhten MTOR Aktivität, sondern »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at 100 steigert auch die Ausbreitung der Zellen. Wirkstoffe, die MTOR hemmen, verhindern diese Ausbreitung. In BrustkrebspatientIinnen korreliert eine niedrige G3BP Menge mit einer schlechteren Prognose. „G3BP Proteine könnten daher interessante Marker sein, um personalisierte Therapien zu entwickeln und die Effizienz von Medikamenten, die MTOR hemmen, zu verbessern“, so Christiane Opitz vom DKFZ. Auch im Gehirn hemmen die G3BP Proteine MTOR. Im Zebrafisch, einem für die Pharmaforschung wichtigen Tiermodell, be - obachteten die ForscherInnen Störungen der Gehirnentwicklung, wenn G3BP fehlt. Dies führt zu neuronaler Hyperaktivität ähnlich wie bei Epilepsie im Menschen. Diese neuronalen Entladungen konnten durch Wirkstoffe, die MTOR hemmen, unterdrückt werden. „Wir hoffen deshalb, daß PatientInnen mit neurologischen Erkrankungen, bei denen die G3BP Proteine fehlerhaft sind, von MTOR-gerichteten Wirkstoffen profitieren könnten. Hier stehen wir noch am Anfang und möchten dies zukünftig gemeinsam mit unserem Forschungsnetzwerk weiter untersuchen“, sagt Kathrin Thedieck von der Universität Innsbruck. Zu diesem zählt auch Lukas A. Huber, Direktor der Zellbiologie der Medizinischen Universität Innsbruck, der sich über den gemeinsamen Erfolg freut: „Durch diese, bereits so erfolgreiche Zu sam - menarbeit entsteht gerade ein starker Forschungsschwerpunkt zu MTOR und Lysosomen an den beiden Innsbrucker Universitäten, und ich sehe unseren nächsten Projekten schon mit Spannung entgegen“, so Lukas A. Huber. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Cell“ erschienen. Ihre AutorInnen wurden u.a. von der deutschen Tuberöse Sklerose Stiftung, der niederländischen Stiftung TSC Fonds, dem österreichischen Wissenschaftsfonds, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europäischen Union im Rahmen des Brustkrebskonsortiums MESI-STRAT gefördert. n https://www.uibk.ac.at/cmbi/ https://www.unite-glioblastoma.de/ https://mesi-strat.eu/
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 197 / 12. 02. 2021 Wissenschaft & Technik Ultraschall zur Behandlung von Gehirnkrankheiten 101 Ultraschall kann nicht nur als bildgebendes Verfahren eingesetzt werden, mit gezielten Ultraschallimpulsen läßt sich eine Reihe an Gehirnerkrankungen, die bisher nur eingeschränkt therapierbar sind, punktgenau behandeln. Einige revolutionäre Verfahren dieser Art wurden in den vergangenen Jahren maßgeblich in Toronto und auch an der MedUni Wien entwickelt. Das Wiener Verfahren verbessert Hirnfunktionen, indem noch funktionierende Nervenzellen von außen aktiviert werden. Verbesserungen sind bei verschiede - nen neuropsychiatrischen Hirnerkrankungen wie Alzheimer-Demenz, Parkinson, Schlag - an fall, Multipler Sklerose oder Nervenschmerzen erwartbar. Eine soeben im Fachjournal Advanced Science von der MedUni Wien gemeinsam mit der Universität Toronto veröffentlichte Übersichtsarbeit zeigt, daß die neuen Therapien bereits an der Schwelle breiter Anwendung in der klinischen Praxis stehen. In den vergangenen Jahren wurden neuartige Konzepte für die Ultraschall-Gehirntherapie entwickelt. Hochfokussierte Ultraschallwellen ermöglichen nun eine nichtinvasive Chirurgie, die fokale Übertragung von Therapeutika oder Genen an ausgewählten Stellen des Gehirns und die therapeutische Modulation neuronaler Netzwerke bei verschiedenen Gehirnerkrankungen. Laut Ro land Beisteiner, unter dessen Leitung die neue Methode der transkraniellen Pulsstimulation mit Ultraschall (TPS) an der Universitätsklinik für Neurologie von MedUni Wien und AKH Wien entwickelt wurde, sind die neuartigen Ultraschall-Methoden kein „Entweder-Oder“, sondern ein echtes Plus für die klinische Praxis: „Die in Wien und Toronto entwickelten Techniken stellen neuartige Zu - satzoptionen dar, mit denen wir bereits etablierte Therapien ergänzen können. Die in - zwischen publizierten PatientInnendaten zei - gen, daß die transkraniellen Ultraschallinnovationen sicher und für eine breite klinische Anwendung bereit sind.“ Der große Zusatzvorteil des Wiener Verfahrens: es ist nahezu nebenwirkungsfrei. Grafik: pixabay / Sabine Zierer Wiener TPS-Stimulation: Breiter klinischer Roll-out in Sichtweite Die unter Wiener Leitung von einem in - ternationalen Konsortium entwickelte Nervenzell-Stimulation TPS wurde bereits An - fang 2020 in einem führenden Wissenschaftsjournal als Coverarbeit vorgestellt. Alzheimer-PatientInnen zeigten in dieser Pilotstudie über drei Monate anhaltende Verbesserungen. Der breite klinische Roll-out ist bereits angelaufen, erfordert laut Beisteiner aber besondere Fachexpertise: „Die neue Therapie ist in kontinuierlicher wissenschaftlicher Entwicklung und erfordert von den BehandlerInnen besondere neurologische, methodische und Hirnfunktionskenntnisse“, so Beisteiner. Neben den auch schon mit älteren, weniger genauen Hirnstimulationsverfahren untersuchten Erkrankungen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Multipler Sklerose und Nervenschmerzen gibt es für TPS wahrscheinlich auch ganz neue Einsatzbereiche. TPS ist das einzige Verfahren, das auch tiefe Hirnregionen gezielt nichtinvasiv aktivieren kann. Daher sind alle Er - krankungen, bei welchen eine Rehabilitation gestörter Hirnfunktionen über Aktivierung noch funktionierender Nervenzellen möglich ist, Kandidaten für die neue Wiener Therapie. Für Alzheimertherapie ist TPS bereits zugelassen (CE Zertifizierung). Ultraschall-Methoden aus Toronto: Andere Technik, andere Ziele Die beiden weiteren, klinisch federführend von Studien-Coautor Andres Lozano an »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at der Universität Toronto entwickelten Methoden nützen ebenfalls Ultraschallwellen. Die gezielte nicht-invasive Chirurgie mittels Ul - traschall ist bereits für essentiellen Tremor und tremordominantes Parkinsonsyndrom zu gelassen. Erstmals ohne Öffnung des Schädels lassen sich so durch gezielte Ausschaltung überaktiver Nervenzellen Fehlfunktionen des Gehirns therapieren – eine Methode, die in Zukunft bei vielen neurologisch bedingten Bewegungsstörungen relevant sein könnte. Die dritte neuartige Ultraschall-Methode, die gezielte Arzneimittel-, Antikörper- oder Gen - therapie, löst eine der großen Herausforderungen der Neurologie, indem sie erstmals die lokale Öffnung der Blut-Hirn-Schranke nichtinvasiv ermöglicht. Denn obwohl viele hochwirksame Therapeutika grundsätzlich zur Verfügung stehen, bringt man sie oft nicht an die gewünschte Stelle ins Gehirn. „Durch das Überwinden dieser Barriere ist nun erstmals die gezielte Abgabe von Therapeutika und Genen in betroffenen Gehirnarealen möglich. Damit lassen sich potenziell all jene Gehirnerkrankungen behandeln, bei denen man mit Medikamenten gut lokal eingreifen kann, so zum Beispiel Tumor- und mo torische System-Erkrankungen“, so Beisteiner. n https://www.meduniwien.ac.at/ https://www.utoronto.ca/
Ausg. Nr. 197 • 12. Februar 2021
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