ÖSTERREICH JOURNAL NR. 195 / 29. 10. 2020 Österreich, Europa und die Welt 60 Von der Donau-Metropole zur Stadt über dem Meer Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich im März 1938 wurden Jüdinnen und Juden ausgegrenzt, gedemütigt und verfolgt. Die Möglichkeiten, das Land zu verlassen, waren gering. Schikanen, Zurücklassung jeglichen Besitzes und die Tatsache, daß viele Länder ihre Grenzen abschotteten, erschwerten jegliche Aussichten zur Flucht. Shanghai war eine internationale Sonderzone, für die kein schwer zu erlangendes Visum nötig war, den - noch verlangten die deutschen Behörden ein Ausreisepapier, gleich ob Visum oder Schiffs - ticket. Feng Shan Ho, der Generalkonsul Chi - nas in Wiens, stellte gegen den Willen der chinesischen Regierung tausende dieser rettenden Visa aus. Damit stellte Shanghai, die „Stadt über dem Meer“ für viele österreichische Juden und Jüdinnen die letzte Hoffnung auf Zu - flucht dar. Die Reise dorthin bedeutete eine wochenlange Überfahrt auf dem Seeweg oder Bild rechts: Wiener Konditorei in Shanghai ca. 1940 Bild unten: Eingang zum Hongkew Ghetto, Shanghai, April 1946 © Arthur Rothstein © William H. Hannon Library, Loyola Marymount University / Foto: Werner von Boltenstern »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 195 / 29. 10. 2020 Österreich, Europa und die Welt 61 eine beschwerliche Reise auf dem Landweg über Sibirien. Die Ankunft war für alle ernüchternd. Di - rekt von den Schiffen, die noch einen Hauch von Bequemlichkeit geboten hatten, wurden die Neuankommenden auf Lastwagen verfrachtet. Die meisten hatten kein Geld für eine Unterkunft, so wurden sie in lagerartigen Heimen untergebracht, in denen es kein Privatleben mehr gab. Die Unterbringung er - folgte in riesigen Schlafsälen mit mehr als 100 Betten und wenigen kargen Ge mein - schaftsräumen. Eltern wurden von Kindern getrennt, und oft mußten auch Ehepartner in voneinander getrennten Sälen schlafen. Die neue fremde Heimat stellte die Ge - flüchteten vor große Herausforderungen. Auch das ungewohnte Klima, verbunden mit Krankheiten, war eine Belastung. Zudem kam die Sprachbarriere und der völlig neue Kulturkreis hinzu. © Sammlung Jabloner / Foto: Hans Jabloner Foto: JMW / Danielle Spera Jutta Jabloner und Inge Hungerleider schauen vor der Heimreise von Shanghai nach Wien durch ein Bullauge der Marine Falcon (Ausschnitt) Ein Treffen nach 72 Jahren: Jutta Jabloner und Inge Hungerleider, März 2020 (Ausschnitt) Little Vienna in Shanghai Die Wiener Jüdinnen und Juden wollten so rasch wie möglich auch in der vollkommen ungewohnten und schwierigen Umgebung ein neues Leben beginnen und bauten sich ein kleines Wien mitten in Shanghai auf. In „Little Vienna“. Hier gab es neben Re - staurants wie dem „Weißen Rössl“ Kaffeehäuser mit Wiener Mehlspeis- und Kaffeespezialitäten, Würstelstände und Heurige. Sportvereine und Zeitungen wurden gegründet und die vielen geflüchteten KünstlerInnen sorgten für ein vielfältiges Angebot an Mu sikabenden, Operetten, Kabarett- und Theateraufführungen. Mit der Einnahme Shanghais durch die mit dem Deutschen Reich verbündeten Japaner 1941 begannen sich die Lebensbedingun - gen kontinuierlich zu verschlechtern. 1943 wurde die Einrichtung eines Ghettos im heruntergekommenen Stadtviertel Hongkew beschlossen. Die hygienischen Verhältnisse und schlechte Versorgungslage führten zu Hunger und Krankheit. Ursprünglich aus dem Mittleren Osten stammende, und seit dem 19. Jahrhundert in Shanghai ansässige jüdische Familien, wie die Kadoories und Sassoons, sorgten ge - meinsam mit anderen Hilfsvereinen, wie dem Amerikanischen JOINT, für die Versorgung mit Lebensmitteln und den Erhalt von Schulen. Nach dem Sieg der Alliierten und dem Ein marsch der US-Armee 1945 begann für viele die Planung einer Rückkehr. Mit der be vorstehenden Einnahme Shanghais durch Mao-Zedong verließen auch die letzten Jü - dinnen und Juden die Stadt in Richtung USA, Kanada, Australien oder Israel. Einige kehrten wieder in ihre Heimatstadt Wien zurück. Durch die Ermordung und Zerstörung des europäischen Judentums bedeutete ihre Rückkehr nach Wien einen völligen Neuanfang in einer veränderten Welt. „Die Wiener in China. Fluchtpunkt Shanghai “ ist von 21. Oktober 2020 bis 18. April 2021 im Jüdischen Museum Wien, einem Museum der Wien Holding, zu sehen. Zur Ausstellung, die von Danielle Spera und Daniela Pscheiden kuratiert und von Stefan Fuhrer gestaltet wurde, erscheint ein Ausstellungskatalog zum Preis von € 29,90- im Amalthea Verlag. Das Jüdische Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Frei - tag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der zweite Stand - ort, Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, freitags 10 bis 14 Uhr (Winter - zeit) bzw. 17 Uhr (Sommerzeit) geöffnet. n http://www.jmw.at/ © Jüdisches Museum Wien Peking Road, Shanghai (Ausschnitt) »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
Ausg. Nr. 195 • 29. Oktober 2020
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