ÖSTERREICH JOURNAL NR. 193 / 31. 07. 2020 Personalia 86 Foto: Bundesarchiv, Bild 183-P0805-314 / Sturm, Horst / CC-BY 3.0 haben. Sein Leben umspannt ja das ganze 20. Jahrhundert. Das hat ihn als Außenminister und Bundeskanzler seine gesamte politische Karriere zwischen 1953 und 1983 ge - prägt. Und diese Erinnerung an die zerrissenen 1930er Jahre hat er in seiner dreizehnjährigen Ära als Bundeskanzler noch mit vielen Österreicherinnen und Österreichern geteilt. Heute ist das natürlich schon weit ent - rückt. Kreisky war zugleich immer ein Zu - kunftspolitiker. Sein überraschender Wahlsieg 1970 kann als historische Zäsur, gewissermaßen als Ende der Nachkriegszeit verstanden werden. Er hat der restaurativen – um nicht zu sagen provinziellen – Politik seiner Vorgänger das Paradigma der Modernisierung entgegengesetzt. Kreiskys Ausnah - mestellung in der Geschichte der 2. Republik hängt damit zusammen. Und das war möglich, weil es eine von Optimismus getragene Zeit gewesen ist. So konnte Kreisky in Wirklichkeit eine nachholende Modernisierung Ös terreichs umsetzen. Sein Mythos hängt wohl auch damit zusammen, daß seine ge - sellschaftspolitischen Reformen tatsächlich transformativ gewirkt haben. PS: Warum konnte er so viele Menschen von seinem Weg überzeugen? WP: Man könnte durchaus sagen, daß Kreis - ky ein moderner Konservativer gewesen ist. Das merkt man bei manchen „Überbau“- Themen, etwa bei der Frage der Abtreibung und damit verbunden der Befreiung der Frau von den Fesseln einer männerdominierten Po litik. Kreisky hatte ein traditionelles Fami - lienbild, zwar liberal, aber doch auch ziemlich konventionell. Aber zugleich war er je - mand, der jenen im Gefolge der 68er-Bewegung angestoßenen gesellschaftlichen Wechsel zugelassen, ja unterstützt hat. Denken wir an die Justizreform. Wenn man von der Ära Kreisky spricht, darf man nicht vergessen, welche markanten Persönlichkeiten diese Zeit ausgestaltet haben – etwa ein Christian Bro - da, eine Hertha Firnberg oder ein Hannes An drosch. Aber ohne Kreiskys authentische Überzeugung hätten sie sich schwer entfalten können. PS: Am Ende der Ära Kreisky standen der Verlust der absoluten Mehrheit und ein Zerwürfnis mit seinen Nachfolgern. Wie kam es dazu? KSZE-Konferenz Helsinki 1978 (v.l.): Bundeskanzler Helmut Schmidt (BRD), Staatsratsvorsitzender Erich Honecker (DDR), US-Präsident Gerald Ford und Bundeskanzler Bruno Kreisky »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at Foto: CC-BY 2.0 / Votava (SPÖ Presse und Kommunikation) Bruno Kreisky auf einer Wahlkampfveranstaltung für die Nationalratswahl 1983 WP: Das Bemerkenswerte ist, daß die Ära Kreisky eigentlich bereits vor 1983 geendet hat – nämlich mit dem Ausscheiden von Hannes Androsch aus der Regierung 1981. Der Bruch mit Androsch war letztlich nicht politischen Differenzen geschuldet, sondern einer persönlichen Entfremdung, nicht nur aufgrund der Vorkommnisse rund um An - droschs Steuerberatungskanzlei. Kreisky hatte ein sehr feines Sensorium für Tabubrüche. Und das Zurschaustellen von dem, was man erreicht hat, fand er, der selber aus einem großbürgerlichen Elternhaus kam und in Wohlstand lebte, befremdlich. Es war für ihn ein Verrat an sozialdemokratischen Werten. Interessant ist, daß die parteiinterne Krise aufgrund des Bruchs mit Androsch zusam - menfiel mit einem internationalen Paradigmenwechsel hin zu den Neokonservativen Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Da - mals hat auch die Kritik an Kreiskys austrokeynesianischer „Deficit Spending“-Politik eingesetzt. Die internationale Wirtschaftskrise aufgrund der zwei Erdölkrisen, die Krise der Verstaatlichten Industrie, die zunehmende Arbeitslosigkeit – retrospektiv betrachtet waren es diese Faktoren, die das Ende der Ära Kreisky eingeläutet haben. Danach war es wie ein Flugzeug, das mit abgestelltem Motor recht ruhig weiterfliegt. PS: Für viele war Kreisky dann offenbar schnell nur noch der Schuldenkanzler… WP: Das Etikett ist ihm lange geblieben, ob - wohl die Schuldenquote bekanntlich erst unter seinen Nachfolgern sehr viel rasanter angestiegen ist. Erst in jüngster Zeit hat sich durchgesprochen, daß Sparen allein noch kei ne Politik ist. Und wenn man heute in Corona-Zeiten im Zusammenhang mit der Ret tung von Arbeitsplätzen von „koste es, was es wolle“ spricht, erinnert das ja durchaus an Kreiskys berühmten Ausspruch, wo - nach ihm ein paar Milliarden Schilling Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als hunderttausend Arbeitslose mehr. Aber zurück zum Ausgangspunkt: Kreisky war, was man zurecht als Vollblutpolitiker be - zeichnen kann. Sein Leben war Politik. Da - her auch seine oftmals überbordenden Reaktionen, gelegentlich durchaus auch ungerecht und unfair. Das hat er auch selbst ge - wußt und gern Konrad Ferdinand Meyer zitiert: „Ich bin ein Mensch in seinem Widerspruch.“ Zurecht hat es ihn jedoch empört, daß die SPÖ so leichtfertig das Außenministerium der ÖVP überlassen hat. Das war für ihn Grund genug, den Ehrenvorsitz zurück -
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 193 / 31. 07. 2020 Personalia 87 zulegen. Ich habe das damals für überzogen gehalten. Aber ich muß ihm im Nachhinein recht geben: Wenn wir heute die SPÖ an - schauen, dann ist die gesamte sozialdemokratische Außenpolitik, ob in Nahost, in der Nord-Süd-Politik oder bei so wichtigen Fragen wie Migration, Klima, Multilateralismus und Solidarität ganz einfach weggebrochen. Die kulturelle Hegemonie ist verloren ge - gangen. Damit ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal für Menschen, die SPÖ wäh - len würden, abhanden gekommen. Die SPÖ ist zu einer defensiven, ängstlich-pragmatischen Truppe geworden – und das nicht bloß in der Außenpolitik. Das schien Kreisky da - mals irgendwie geahnt zu haben – daher auch die Enttäuschung über seine Nachfolger. Wobei er etwa Vranitzky Unrecht getan hat. Denn Vranitzky war nach Kreisky sicher der wichtigste Bundeskanzler und hat letztendlich die SPÖ und das Land in Richtung Europäische Union geführt – und damit eigentlich Kreiskys Politik der Öffnung weiter entwickelt. PS: Zwei weitere zentrale Themen ab 1986 waren die Causa Waldheim und der Aufstieg der Neuen Rechten mit der Machtübernahme durch Jörg Haider in der FPÖ. Wie stark hat ihn letzteres beschäftigt? Hat er dieses Phänomen richtig eingeschätzt? WP: Kreisky war sozusagen ein Integrationist. Er hat an die Macht der Vernunft, der Überzeugung und der Argumente geglaubt. Und an eine Politik, die sich als inklusiv verstand. Es gab damals ein paar Neonazis – aber die waren so eindeutig grenzwertig. Kreiskys Vi - sion war, aus der FPÖ eine Art FDP zu ma - chen, natürlich auch aus taktischen Gründen, um im Bedarfsfall einen Ko alitionspartner zu haben. Heute wissen wir, daß alle Versuche, aus der FPÖ eine liberale Partei zu ma - chen, im österreichischen Kontext gescheitert sind. Dem hat sich Kreisky allerdings verweigert. Uns jungen Linken in der SPÖ, die sich als Antifaschisten verstanden und dies gerne vor sich hergetragen ha ben, hat er gesagt: „Wem erzählt’s ihr das? Ich bin damals drangekommen!“ Ohne naiv zu sein hat er die Notwendigkeit der demokratischen Einbindung der Ehemaligen gesehen. Er hat jedenfalls nie kategorisch ge- oder verurteilt. PS: Auch nicht bei Waldheim? Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F062761-0006 / Hoffmann, Harald / CC-BY-SA 3.0 SPD-Parteitag in München 1982 (v.l.): Bundeskanzler Bruno Kreisky mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dessen Gattin Loki WP: Ich kann mich erinnern, daß Kreisky zu Beginn der sogenannten „Campaign“ gezögert hat. Er hatte Waldheim aus dem Außenministerium gekannt und ihn bei seiner Kandidatur für den Posten des UN-Generalsekretärs unterstützt. Das wurde Kreisky oft zum Vorwurf gemacht. Dabei ist es aus meiner Sicht absolut korrekt, daß der österreichische Regierungschef den einzigen österreichischen Kandidaten, der damals eine Chan ce hatte, unterstützt – und nicht darauf schaut, ob er schwarz oder rot ist. Überhaupt hat er in der Personalpolitik stark auf die fachliche und menschliche Qualifikation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geachtet. Zurück zu Waldheim: Letztlich hat Kreis - ky allerdings verstanden, worum es in der Causa Waldheim ging – und war auch entsprechend enttäuscht, daß Waldheim aus seiner Sicht sein Vertrauen mißbraucht hat. PS: Die historische Wende 1989 hat er gerade noch erlebt… WP: Das Ende des Kalten Krieges hat ihn sehr aufgewühlt. Da hat man gemerkt, wie es in seinen Augen funkelt. Er hätte sich ge - wünscht, in diesen Tagen der historischen Um brüche zehn Jahre jünger und führend po - litisch tätig sein zu können. Das hat ihm un - glaublich leidgetan, gewissermaßen seine Ele gie. PS: Kommen wir zurück nach dem Tod und rund um das Begräbnis von Bruno Kreisky. Wie haben Sie die damalige Stimmung in Er - innerung? Haben die Menschen das Begräbnis als einen Abschied von einer Ära empfunden, als Zäsur? Oder waren Kreisky und seine Regierungszeit schon verblaßt? »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at WP: Das Begräbnis war ein großer Staatsakt, hätte ihm wohl eine gewisse Befriedigung be - reitet – mit vielen internationalen Gä sten, von Yassir Arafat bis Willy Brandt. Da ist es noch einmal aufgeflackert, daß hier mehr als ein be merkenswertes Leben zu En de gegangen war. In den Jahren nach seinem Rücktritt war ja eine gewisse Distanzierung zu spüren ge - wesen. Das Kritische, Negative wurde betont. Aber viele Menschen waren ehrlich traurig und nachdenklich – ja und wohl auch dankbar. Ich selber wollte beim Begräbnis nicht im offiziellen Kondukt da bei sein, sondern mei - ne Trauer, auch meine Erinnerungen an die Jahre mit Kreisky, unter den zahllosen Zaungästen, die den Trauerzug gesäumt haben, Ausdruck verleihen. Ich hab auch an Kreis - kys gelegentliche Erwähnung seines Eindrucks vom Begräbnis des Kaisers im No - vember 1916 denken müssen. Ein gewisser Pomp, eine gewisse Getragenheit, das war Teil dieser Zeremonie. Willy Brandt hat seines „lieben, schwierigen und gu ten Freundes“ gedacht, Werner Schneyer hat auf Wunsch von Kreiskys Sohn Peter eine von großer per sön - licher Wertschätzung ge tragene Rede gehalten. Das war insofern pas send, als Kreisky stets den Kontakt zu Intellektuellen und Künst lern, gern auch zu Schrift stellern, ge - sucht hat. Seine Hinwendung zu seinem Al - tersgenossen Friedrich Tor berg, seine Neugierde für die jungen Schriftsteller wie Gerhard Roth, Peter Turrini oder Peter Handke, war ehrlich. Es hat ihn interessiert, was sie zu sagen haben, was sie schreiben, und er hat gerne in deren Bücher hineingeschmökert.
Ausg. Nr. 193 • 31. Juli 2020 Das
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Foto: BMEIA / Gruber ÖSTERREICH JO
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