ÖSTERREICH JOURNAL NR. 192 / 02. 06. 2020 ein „Vater“ und Kunst eine „neue Religion“. Als er 1949 durch Italien und Nordafrika reiste und nach Paris übersiedelte, schrieb Hundertwasser unzählige Briefe an seine Mutter nach Wien. Diese lassen den Weg Hundertwassers vom suchenden und lernenden Kunststudenten zum selbstsicheren Künstler lebendig werden. In diesen Dokumenten legte er seine Überlegungen zur Kunst dar, schrieb Listen mit seinen Lieblingskünstlern und nannte immer wieder den Namen Egon Schiele. Als er in Paris angekommen war, mußte Hundertwasser entdecken, daß Schiele dort ein Unbekannter war. Da- raufhin ließ er sich von seiner Mutter Publikationen über Schiele nachsenden, die er an seine Freunde verschenkte. Hundertwassers Liebe zu Schiele währte ein Leben lang. Auch noch nach der Selbstfindung als Künstler 1950 sah er sich mit der Kunst Schieles verbunden und noch in seinen späten Lebensjahren hingen Reproduktionen von dessen Werken in Hundertwassers Wohn- und Arbeitsräumen – sowohl in Venedig als auch in Neuseeland. Robert Fleck, Kurator der Ausstellung: „Die Wahlverwandtschaft zwischen Friedensreich Hundertwasser und Egon Schiele bildet innerhalb der Kunst des 20. Jahrhunderts einen besonderen Sachverhalt. Sie be - ruht auf kunsthistorisch nachweisbaren Filiationen und Zusammenhängen im stil- und formgeschichtlichen sowie im geistes- und ideengeschichtlichen Bereich. Diese sind in vorliegendem Fall auch empirisch belegbar, bedenkt man die noch kaum aufgearbeiteten © Kunsthaus Zug, Stiftung Sammlung Kamm, Foto: Kunsthaus Zug, Alfred Frommenwiler Kultur Egon Schiele, „Waldandacht“ II, 1915 archivalischen Dokumente im Nachlass des jüngeren der beiden Künstler.“ Welchen Schiele lernte Hundertwasser kennen? Friedrich Stowasser, der sich ab Mitte Mai 1950 Hundertwasser nannte, reagierte seit 1948 auf eine sich im Aufbruch befindliche Ausstellungspolitik, die auf die Wieder - entdeckung der Wiener Moderne setzte. Be - reits im September 1945 postulierte die Ge - 86 dächtnisausstellung Klimt, Schiele, Kokosch - ka, organisiert von der Österreichischen Kulturvereinigung in den Räumen der Neuen Galerie, sowie im Herbst 1946 die Großausstellung Österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart, daß Schieles Werk der „vorläufige Endpunkt“ der österreichischen Kunst wäre. Daher präsentierte die wiedereröffnete Albertina im Frühjahr/ Herbst 1948 erste monografische Ausstellun - gen mit Zeichnungen von Gustav Klimt und © Die Hundertwasser Gemeinnützige Privatstiftung, Wien Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger © 2020 Namida AG, Glarus, Schweiz Friedensreich Hundertwasser, 127 Almhütten auf grünem Platz, 1951 »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
© Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred ÖSTERREICH JOURNAL NR. 192 / 02. 06. 2020 oben: Egon Schiele, Der Häuserbogen ll („Inselstadt“), 1915 rechts: Friedensreich Hundertwasser, 435 Casa che protegge, 1960 Kultur 87 Universität für angewandte Kunst unter der Ägide von Bazon Brock in einer 36 Stunden dauernden Reinszenierung der „Endlosen Li nie“. Im Wintersemester 1959/60 nahm Hun dertwasser eine Gastdozentur an der Hamburger Hochschule für bildende Künste an, wodurch seine Position in der Avantgardeszene – bereits zehn Jahre nach der ersten Ausstellungsbeteiligung – institutionell an - erkannt wurde. Gemeinsam mit den Dichtern Bazon Brock und Herbert Schuldt strebte Hundertwasser, beginnend am 18. Dezember 1959, in einem performativen Akt nach der Erschaffung einer „unendlichen Linie“, welche als die Linie von Hamburg in die Kunstgeschichte einging. Mit Pinsel und Far be zogen die Teilnehmenden abwechselnd und Tag und Nacht hindurch eine ungleichmäßige Linie über Wände und Fenster. Ziel war es, die vegetative Spirale Hundertwassers im Lebensraum zu entfalten. Die nicht ge - Egon Schiele. Schiele war in diesem Sommer auch der Vertreter Österreichs auf der Biennale von Venedig, der ersten nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Hundertwasser konnte als Jugendlicher an mehreren Stellen in Wien auf das Werk von Egon Schiele stoßen: Ausstellungen, Bücher, Grafikmappen und Zeitungsberichte würdigten die Leistungen des inzwischen zum Mythos stilisierten Malers und Grafikers. Alexandra Matzner, Wissenschaftliche Beratung: „,Ich liebe Schiele‘, bekannte Hundertwasser bereits 1950/51! Zwei Jahre zuvor hatte er das Werk und das Leben des Wiener Expressionisten in Ausstellungen und Büchern entdeckt. Die Begeisterung für Schie les Gemälde und virtuose Strichführung begleitete Hundertwasser ein Leben lang. Doch für welche Konzepte und Werke Schieles begeisterte sich Hundertwasser? Beide nutzten Selbstdarstellungen, um sich als Künstler und seherisch begabte Persönlichkeiten zu inszenieren. Die Ausstellung im Leopold Museum zeigt erstmals, welche Verbindungen zwischen Hundertwassers Spiralen und Schieles ,Tote Mutter‘ I, zwischen Stadt- und Naturvorstellungen beider Maler existieren.“ Reenactment. Die »Linie von Wien« Von 18. bis 20. Februar 2020 widmeten sich im Leopold Museum Studierende der © Peggy Guggenheim Collection, Venice Solomon R. Guggenheim Foundation, New York Foto: Peggy Guggenheim Collection, Venice © 2020 Namida AG, Glarus, Schweiz »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
Ausg. Nr. 192 • 2. Juni 2020 Das
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