ÖSTERREICH JOURNAL NR. 186 / 01. 07. 2019 Religion und Kirche 102 dann noch mehrmals. Da im Beipackzettel nichts über eventuelle Gefahren für Ungeborene stand, ja sogar propagiert wurde, daß das Mittel harmlos wie ein Zuckerplätzchen sei, nahm es meine Mutter, um nach dem furchtbaren Schock, ein paar Stunden schlafen zu können. Es handelte sich um den Wirkstoff Thalidomid, der seit 1959 in Deutschland als „Contergan“ rezeptfrei im Umlauf war und schwerste Behinderungen zur Folge hatte. Ich kämpfte von 1996 bis 2008 um meine eigene Entschädigung und gründete im Jahr 2008 geneinsam mit zwei anderen Frauen die „Selbsthilfegruppe der Contergan- und Thalidomidgeschädigten Ös terreichs“ um auch andere Betroffene in ihrem Kampf um Anerkennung und finanzielle Abfindung zu unterstützen. Wir er - reichten mit vereinten Kräften mit viel Überzeugungs- und Medienarbeit eine einmalige Entschädigung für die Contergangeschädigten Österreichs. Jüdische Herkunft Die Tatsache, daß mein Vater Jude war, erzählte man mir nicht. Ein Konsens des Schweigens wurde von allen Familienmitgliedern durchgehalten, zu schwer war die Vergangenheit vor allem für den jüdischen Teil meiner Familie. Sogar meine, im ge - meinsamen Haushalt lebende jüdische Großmutter, die erst Ende 1939 aus Wien in die USA flüchten konnte, sprach niemals darüber, erzählte mir, dem neugierigen Kind, nur immer wieder von schrecklichen Hurrikans in ihrer Exilstadt Miami Beach. Ich wurde getauft und wuchs sehr katholisch auf. Meine mütterliche, nichtjüdische Großmutter hat sich rührend um mich gekümmert, hielt mich aber vom jüdischen Teil der Familie fern und war nicht frei von antisemitischen Vorurteilen. Erst ab dem Tod meiner Großmutter 1979, in meinem 18. Lebensjahr, emanzipierte ich mich und begann einen intensiven Kontakt zu meiner Tante Edith Stein, Tochter der Schriftstellerin Else Jerusalem, geb. Kotany, der Halbeschwester meines Vaters, zu pflegen. Edith gab mir das wesentliche Rüstzeug für meinen späteren Beruf und meine intensive Beschäftigung mit den Ursachen und Folgen des Holocaust. Sie hat - te eine riesige Bibliothek, die ich geradezu in mich aufgesogen hatte. Leider verstarb Edith Stein im Jahr 1987. Studium Im Jahr 1982 inskribierte ich an der Universität Wien Geschichte und eine Fächerkombination aus Politikwissenschaft und Judaistik. In meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich mit der jüdischen Jugend vor 1938, auch um herauszufinden, in welchem Umfeld mein Vater in den 30er-Jahren in Wien lebte. Im Jahr 1995 erschien mein er - stes Buch mit dem Titel „Sei stark und mu - tig! Chasak we’emaz! 40 Jahre jüdische Ju - gend in Österreich am Beispiel der Bewegung „Hashomer Hazair“ 1903-1943“. Ich wollte aber das Judentum nicht nur studieren, sondern auch leben und so trat ich 1997 zum Judentum über und wählte den Namen Shoshana. Beruflicher Werdegang Im Herbst 1992 fand ich eine Anstellung als Historikerin im Wiener Stadt- und Landesarchiv, wo ich mit Ausnahme einiger Un - terbrechungen wegen Karenzierung bis heu - te arbeite. Die Schwerpunkte der Arbeit verschoben sich von der Betreuung der Fotosammlung (1992-1999) mehr und mehr auf das Erschließen zeithistorischer Archivbestände und Bestände, die die Geschichte der Juden in Wien abbilden. 1998 hielt ich am Institut für Judaistik der Universität Wien ein Semester lang eine Vorlesung zum Thema „Jüdisches Vereinsleben“, 1991-2000 war ich Mitglied der Historikerkommission der Republik Österreich mit dem Projekt „Jüdische Gemeinden, Vereine, Stiftungen und Fonds, Arisierung und Restitution“. Ich halte laufend Vorträge und machte im Rahmen des Jüdischen Instituts für Erwachsenenbildung zahlreiche Führungen durch das jüdische Wien. Im Jahr 2018 kuratierte ich die Ausstellung „Gepündert, verbrannt, demoliert. Verschwundene Zentren jüdischen Lebens in Wien“. Seit kurzem bin ich Teil des Kernteams der Historischen Internetplattform der Stadt Wien Wien Geschichte Wiki und verfasse in dieser Funktion wissenschaftliche Artikel zum Jüdischen Wien und zeithistorischen Themen. Ehrenamtliches Engagement Im April 2019 wurde ich gemeinsam mit drei anderen Frauen zum ersten weiblichen Tempelvorstand des Wiener Stadttempels gewählt und möchte mich hier für Frauenrechte engagieren. Seit 2015 betreue ich ehrenamtlich im Rah men des Vereins „Shalom Alaikum. Jewish Aid for refugees“ geflüchtete Menschen aus de, Kongo, Syrien und Afghanistan. Anläßlich meiner Ausstellung begann ich mich für die Erhaltung, Würdigung und da, wo es noch nicht passierte, Kenntlichmachung ehemaliger jüdischer Zentren in Wien einzusetzen und führe diesbezügliche Gespräche mit Bezirksvorstehungen und anderen Institutionen. Fallweise engagiere ich mich sehr politisch, wie auch im vergangenen Wahlkampf zum Bundespräsidenten und gehe auf De - monstrationen. Mein politisches Lebensmotto ist Ich möchte 2015 nach Österreich Ge - flüchtete in ihrem schweren Weg der Integration weiter begleiten. Ich möchte noch viel mehr als bisher gegen Antisemitismus, Israelhaß und aber auch gegen Ausgrenzung gegenüber Ge - flüchteten und Zugewanderten kämpfen. Als Historikerin widme ich mich der Er - innerungsarbeit. Ich liebe mein jüdisches Volk in all seinen Facetten von orthodox bis sekular. Die Trauer über das im Holocaust Verlorene bewegt mich dazu, das jüdische Leben vor der Vernichtung vor allem in meiner geliebten Heimatstadt Wien immer wieder in Erinnerung zu rufen. Mein größtes An - liegen und Lebensziel ist es, den Menschen davon zu erzählen und sie dafür zu begeistern. Ich möchte den Verlust der jüdischen Generationen in Wien aufzeigen und gegen das Vergessen ankämpfen. Menschen verschiedenster Herkunft sollen spüren können, wen und was sie in ihrer Nachbarschaft ha - ben könnten, würden noch hunderttausende Jüdinnen und Jüdinnen hier leben. Die wichtigste Vorbeugung vor dem völkischen und nationalistischen Hass ist das Wissen um das größte Verbrechen der Menschheit, den Ho - locaust. Es genügt nicht, Jugendliche als Pflichtprogramm durch Mauthausen zu führen, in Ergänzung dazu möchte ich gerne daran mitwirken, Jugendliche mit jüdischen Schicksalen und jüdischen, verschwundenen Institutionen in ihrer Wohn- und Schulumgebung konfrontieren und auf diese Weise Vergangenheit lebendig werden lassen.“ Der Jewish Welcome Service 1980 wurde die Organisation auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Leopold Gratz und des Stadtrates Heinz Nittel ge - meinsam mit dem 2007 verstorbenen Leon Zelman gegründet. Präsident ist der jeweilige Bürgermeister der Stadt Wien. Weitere Aufgaben neben dem Besuchsprogramm sind die Unterstützung von Gedenk -und Erinnerungsinitiativen sowie Information und Service für jüdische Wien-BesucherInnen. n https://jewish-welcome.at/ »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 186 / 01. 07. 2019 Religion und Kirche Bischof Bünker verabschiedet Bundespräsident Van der Bellen zum evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker: »Sie haben dem unverzichtbaren Teil des Ganzen eine Stimme gegeben.« – Festgottesdienst in der Wiener lutherischen Stadtkirche 103 Foto: epd / Uschmann „Ihr Wirken als Bischof hat unserer Republik viel gebracht“, dankte Bundespräsident Van der Bellen (l.) dem scheidenden Bischof Bünker. Mit einem Festgottesdienst in der Wiener lutherischen Stadtkirche hat der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Michael Bünker, am 29. Juni Ab - schied aus seinem Amt genommen. „Daß ich mich als ein schlechthin geborgener Mensch einbringen konnte in der Kirche Jesu Christi und in der Welt Gottes, unter seinen Menschen, das hat mich wohl im Tiefsten getragen wie es hoffentlich alle trägt, die aus diesem Glauben leben und vor allem die, die davon öffentlich zu reden haben“, sagte Bünker in seiner Predigt. Neben zahlreichen Gläubigen waren bei der Feier viele VertreterInnen von Kirche, Ökumene und öffentlichem Leben zugegen, darunter auch Bundes - präsident Alexander Van der Bellen, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Weihbischof Helmut Krätzl, Metropolit Arsenios Kardamakis und kurz auch Oberrabiner Paul Den „guten Kampf des Glaubens“, wie er in seinem Konfirmationsspruch aus dem ersten Chaim Eisenberg. Außenminister Alexander Timotheusbrief angesprochen wird, stellte Bünker in den Mittelpunkt seiner Predigt. Foto: epd / Uschmann »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
Ausg. Nr. 186 • 1. Juli 2019 Das
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