ÖSTERREICH JOURNAL NR. 202 / 21. 03. 2022 Österreich, Europa und die Welt Die Sache nimmt Fahrt auf...! Anmerkungen zur Restitution und Repatriierung von sensiblen Museumsobjekten in Österreich 64 Die feierliche Übergabe der sogenannten „human remains“, jener menschlichen Schädel zweier Personen von den polynesischen Hawaii-Inseln am 14. Februar 2022 im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in der Generaldirektion des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien, stellt einen weiteren markanten Punkt in einem veränderten Umgang mit solchen Objekten dar. Diese von langer Hand über einen langen Zeitraum von vor allem zwei Mitarbeiterinnen des Mu - seums sowie externen Experten geplante und dann doch etwas kurzfristig anberaumte Rück gabezeremonie ist Teil der Aufarbeitung von Folgewirkungen des neuzeitlichen Ko - lonialismus, wobei auch österreichische Forscher, Sammler und öffentliche sowie private Institutionen ihren Anteil daran hatten und haben. Die jüngste Rückgabe kann und muß im Kontext eines bereits mindestens seit den 1980er-Jahren stattfindenden Bewußtseinsbildungsprozesses gesehen werden, dem auch seit jener Zeit immer wieder punktuelle Initiativen folgten, um offensichtlich Objekte mit Konfliktpotential einer für alle Seiten tragbaren Lösung zuzuführen. Dabei stellt die Rückgabe von menschlichen Überresten ein spezielles Subthema in nerhalb der weit umfassenderen Diskussion über den Umgang mit unter fragwürdigen Bedingungen in der Kolonialzeit erworbenen Objekten dar. Gerade indigene menschliche Überreste und deren Repatriierung und Wie - derbestattung sind dabei nicht von politischer Instrumentalisierung gefeit, wie die Ex - pertin für den Umgang mit Knochenfunden Univ.Doz. Estella Weiss-Krejci 1) einmal be - tonte. Vielmehr können, wie sie meint, diese durchaus im Kontext der Neuordnung soziopolitischer Beziehungen betrachtet werden, *) ao. Univ.Prof. Mag. Dr. Hermann Mückler lehrt am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien 1) Weiss-Krejci, Estella: Abschied aus dem Knochenkabinett: Repatriierung als Instrument kultureller und nationaler Identitätspolitik am Beispiel öster - reichischer Restitutionen. In: Holger Stoecker, Thomas Schnalke und Andreas Winkelmann (Hg.), Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen. Studien zur Kolonialgeschichte 5., Berlin 2013: Ch. Links, S. 431–460. © Sammlung Hermann Mückler Von Hermann Mückler *) Umschlagabbildung des französischen Reisejournals aus dem Jahr 1907 mit einem Europäer, der zum Verkauf angebotene tatauierte, konservierte Maori-Köpfe begutachtet. Die Herstellung und der schwunghafte Handel mit den mokomokai genannten Köpfen wurde zwar von den Briten bereits 1831 verboten, fand aber noch bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein statt. wobei mit „politisch“ hier alle Akteure, die gesellschaftliche Ziele verfolgen, gemeint sein können. Die Übergabe der beiden Schädel an die aus Honolulu angereisten Vertreter des Office of Hawaiian Affairs ist die bislang sechste »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at Repatriierung von menschlichen Überresten aus österreichischen Institutionen an Vertreter der ursprünglichen Herkunftsgesellschaften. Sie kann als Bekenntnis sowohl des beteiligten Museums als auch des offiziellen Österreich für einen offenen und ehrlichen
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 202 / 21. 03. 2022 Österreich, Europa und die Welt 65 © Sammlung Hermann Mückler Viele Ethnien betrieben in vorkolonialer Zeit die Kopfjagd, wie hier eine Gruppe von Marind im Süden von Niederländisch-Neuguinea Ende des 19. Jahrhunderts. Die erbeuteten Köpfe wurden häufig mit Ton und Baumharz überformt und reich geschmückt. Sie stellen in den ethnologischen Sammlungen heute Objekte dar, die gleichzeitig sowohl Kunstobjekte als auch menschliche Überreste sind, und dadurch den Umgang mit ihnen erschweren. Umgang mit dieser sensiblen Thematik be - trachtet werden. Die erste österreichische Institution, welche sich zur Restitution bzw. Repatriierung sensibler Objekte aus ihren Sammlungen ent - schloss, war das Wiener Museum für Völkerkunde, heute Weltmuseum Wien. Bereits 1985 hatte der damalige Kurator der Abteilung Polynesien und Australien, Hanns Peter, persönlich eine männliche Mumie eines in - digenen Maori nach Aotearoa/Neuseeland zu - rückgebracht. Eine weitere damals im Besitz des Museums vermutete Mumie eines Kleinkindes war nicht auffindbar. Beide Mumien waren durch den aus Linz stammenden Taxi - dermisten, Ethnographen und Ornithologen Andreas Reischek 1889 nach Österreich ge - bracht worden. Reischek selbst hatte in seinen Tagebüchern erwähnt, daß er die beiden Mumien heimlich nachts von ihrem Bestattungsort entwendet hatte. Die englische Über - setzung dieser Tagebücher führte in Neuseeland zu empörten Reaktionen, die dort Reischeks Ruf nachhaltig beschädigten. Die Rück gabe der männlichen Mumie erfolgte weit gehend unberücksichtigt von den Me - dien. Im Jahr 2009 erfolgte die nächste Repatriierung menschlicher Überreste, diesmal nach Australien. Es waren die Überreste von 17 Personen, überwiegend aus den Beständen Foto: Sammlung Hermann Mückler Schädel wie dieser und alle Knochen eines Skelettes waren, seit es eine physischanthropologische Forschung gibt, Gegenstand eingehender Untersuchungen. Für eine Gesamtschau trachtete man danach, aus allen Weltregionen und von allen existierenden ethnischen Gruppen vergleichbare Objekte zu erhalten. der osteologischen Sammlung der anthropologischen Abteilung des NHM-Wien sowie eines Objektes aus den Beständen der pathologisch-anatomischen Sammlung im „Narrenturm“, die seit 2012 zum NHM-Wien da - zugehört. Nur zwei Jahre später wurden weitere 31 menschliche Überreste indigener au - stralischer Aborigines in ihren Heimatkontinent restituiert. Die meisten dieser Objekte stammten aus der Sammlung des Mediziners, Ethnographen und Foto- und Filmpioniers Rudolf Pöch. Ebenfalls von Pöch stamm ten jene menschlichen Objekte – es handelte sich um zwei Angehörige der Gruppe der San –, die 2012 an Südafrika restituiert wurden. Im Mai 2015 fand schließlich die vorletzte Re - patriierung statt. Diesmal waren es wieder neuseeländische Maori-Vertreter aus dem in der Hauptstadt Wellington beheimateten Te Papa Tongareva Museum, die angereist wa - ren, um im Weltmuseum Wien die Überreste mehrerer Vorfahren für eine ordnungsgemässe rituelle Wiederbestattung in ihre Heimat zu überführen. Mit jeder Restitution steigerte sich das Medieninteresse an dieser Praxis. Momentan laufene intensive Vorbereitungen für eine weitere Rückgabe, diesmal von über 70 menschlichen Überresten wiederum von indigenen neuseeländischen Maori, die im September 2022 im NHM-Wien im Rahmen einer feierlichen Zeremonie stattfinden soll. Die Kenntnis um solche Objekte sind u.a. das Ergebnis des seit 2008 existierenden forMuse-Projekts des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung. Das offizielle Österreich bekennt sich zu dieser Strategie der vorbehaltlosen Rückgabe mensch- »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at
Ausg. Nr. 202 • 21. März 2022 Da
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Foto: Missio / Katharina Schiffl Ö
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Foto: Universalmuseum Joanneum / J.
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