ÖSTERREICH JOURNAL NR. 195 / 29. 10. 2020 Unsere DNA beinhaltet die Summe aller genetischen Informationen für einen Organismus und wäre – wenn man sie auseinanderziehen würde – unglaubliche zwei Me ter lang. Um in einen Zellkern zu passen, ist unser Erbgut komplex aufgewickelt und gefaltet, vergleichbar etwa mit einem 20 km langen Faden, der in einen Tennisball zu - sammengeknüllt wird. Bei jeder Teilung wird das Erbgut auf zwei Tochterzellen aufgeteilt und muß wiederum richtig gefaltet und verpackt werden – ein im wahrsten Sinne ‚verwirrender‘ Prozeß. Die Frage nach der dreidimensionalen Or ganisation unserer DNA ist eines der grossen Rätsel der Zellbiologie. Denn um Gene zu aktivieren oder zu unterdrücken, müssen Bereiche, die gar nicht in unmittelbarer Nä - he auf der DNA liegen, miteinander in Kontakt kommen. Möglich wird dies, weil sich die DNA gezielt faltet und so organisiert, daß gewisse Passagen im Erbgut sich räumlich näherkommen. Auch bei Reparaturvorgängen ist die dreidimensionale Organisation der DNA-Stränge wesentlich, damit wie durch eine Sicherheitskopie fehlerhafte Passagen im Erbgut ausgebessert werden können. Bislang war es den ForscherInnen nicht möglich, die räumliche Organisation neu her - gestellter Schwester-DNA-Moleküle zu be - stimmen und Kontaktpunkte zwischen den beiden Strängen zu finden. Eine am IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entwickelte Technologie macht dies nun erstmals möglich. In Zu sammenarbeit mit dem Team von Stefan Ameres, ebenfalls am IMBA, und dem Team von Ronald Micura an der Universität Innsbruck wurde eine spezielle Methode entwikkelt. „Mit unserer neuen scsHi-C Methode (sister chromatid sensitive chromosome conformation capture) können wir die relative räumliche Anordnung der beiden replizierten Schwester-DNA-Moleküle in jedem Chromosom kartieren. Dabei werden die beiden DNA Stränge unterschiedlich chemisch markiert. Diese Markierungen lassen sich an - schließend durch Sequenzierung leicht erfassen“, erklärt Michael Mitter, Doktorand am Wissenschaft & Technik Eine 3D Landkarte des Erbguts Wissenschaftler am Institut für Molekulare Biotechnologie und KollegInnen veröffentlichen im Fachmagazin »Nature« eine bahnbrechende Methode, um erstmals zu erfassen, wie sich neu hergestellte DNA dreidimensional organisiert und wie sich Schwester-Chromosomen zueinander verhalten. © IMBA / Gerlich Unser Erbgut ist komplex aufgewickelt und gefaltet, vergleichbar etwa mit einem 20 km langen Faden, der in einen Tennisball zusammengeknüllt wird. »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at 126 IMBA und Erstautor der aktuellen Publikation in „Nature“. Ein Trick, der es den ForscherInnen nun möglich macht, Kontaktpunkte sowohl innerhalb der DNA als auch zwischen den beiden Kopien zu bestimmen. Durch eine Kartierung dieser Kontaktpunkte war es dem Team rund um Daniel Gerlich auch möglich, die Funktion von wichtigen Molekülen zu bestimmen, welche die DNA falten und verknüpfen, und somit die ausgeklügelte 3D Organisation des Erbguts mitsteuern. „Mit der Entwicklung der scsHi-C Technologie ist es uns möglich, bisher unerforschte biologische Fragestellungen, wie etwa die räumliche Organisation des Ge - noms bei Reparaturvorgängen im Erbgut zu untersuchen“, so IMBA Gruppenleiter Daniel Gerlich über das vom WWTF – dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds –finanzierten Forschungsprojekt, das breite technologische Anwendungen in Aussicht stellt. Über IMBA Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie ist das größte Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit dem Fokus auf zukunftsweisende Grundlagenforschung. 16 Forschungsgruppen stellen sich den molekularen Rätseln und unerforschten Gebieten der Molekularbiologie und Medizin. Erkenntnisse aus den Bereichen Zell- und RNA-Biologie, molekularer Medizin und Stammzellbiologie bilden den Nährboden für eine Medizin der Zukunft. Die Stammzellinitiative am IMBA wird durch eine Förderung des Bundesministeriums für Wissenschaft sowie durch die Stadt Wien finanziert. n https://de.imba.oeaw.ac.at/ Stammzellforscher Jürgen Knoblich in Päpstliche Akademie der Wissenschaften aufgenommen Der wissenschaftliche Direktor des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA), Jürgen Knoblich, wurde in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Das teilte der Vatikan mit. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf den molekularen Mechanismen der menschlichen Gehirnentwicklung. Knoblich arbeitet und forscht seit 2004 am IMBA, seit 2018 ist er dessen Wissenschaftlicher Direktor. Seine Forschungsarbeit hat ihren Schwerpunkt auf der Beschreibung der Mechanismen der menschlichen Gehirnentwicklung. Im Jahr 2013 kultivierte sein Labor erfolgreich das erste Modell für die frühe menschliche Gehirnentwicklung, die als „Gehirn-Organoide“ bekannt wurden. Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften gilt als eine der renommiertesten und ältesten wissenschaftlichen Akademien der Welt. Zu ihren Mitgliedern zählten die angesehensten Namen der Wissenschaft wie Galileo Galilei, Stephen Hawking oder Er - nest Rutherford. n https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4pstliche_Akademie_der_Wissenschaften
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 195 / 29. 10. 2020 Wie fragen Zellen in unserem Körper nach dem Weg? Selbst ohne eine Kar - te, die ihnen den Weg weist, wissen sie, wo - hin sie gehen müssen, um Wunden zu heilen und unseren Körper zu erneuern. Edouard Hannezo und seine Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) haben soeben gemeinsam mit Tsuyoshi Hira - shima und seiner Gruppe an der Universität Kyoto ein neues Paper in „Nature Physics“ veröffentlicht, das zeigt, wie mechanische und chemische Wellen die Bewegung von Zellen koordinieren. Viele Zellen in unserem Körper sind in Bewegung und scheinen irgendwie zu „wissen“, wohin sie müssen. Aber wie erfahren ihr Ziel? Diese Frage ist der Schlüssel zum Verständnis von Phänomenen wie der Erneuerung von Zellen in unserem Körper, der Wan derung von Krebszellen und insbesondere der Wundheilung. Edouard Hannezo und seine Gruppe am IST Austria schlagen in Zusammenarbeit mit Tsuyoshi Hirashima und seiner Gruppe an der Universität Kyoto ein neues Modell für Informationstransfer vor, bei dem Zellen selbstorganisierende Wel len nutzen, um eine Wunde zu schließen. Die ForscherInnen kreierten ein mathema - tisches Modell, um die Wechselwirkungen innerhalb einer Schicht von Zellen auf einem Substrat, ähnlich einer Hautschicht, zu be - schreiben. Diese Zellen enthalten Signalproteine, die es ihnen ermöglichen, andere Zellen um sie herum chemisch wahrzunehmen, also ob an ihnen gedrückt oder gezogen wird, und ihre eigene Bewegung zu kontrollieren. Die WissenschafterInnen fanden heraus, daß das komplexe Zusammenspiel von Zellbewegung, Wahrnehmung der Umgebung und Proteinaktivierung innerhalb der Zellen zu gekoppelten mechanischen und che mischen Wellen führt, in denen die Information über ihre Richtung kodiert ist. Feedbackschleifen Die mechanische Welle tritt als Bereiche von mehr oder weniger Zellendichte in Er - scheinung, die sich durch die Zellschicht bewegen. Die chemische Welle erscheint als Proteinaktivität und wird durch Zellbewegung und mechanische Rückkopplung ausgelöst. Diese chemischen Prozesse in den Wissenschaft & Technik Wundheilende Wellen ForscherInnen finden ein komplexes Wechselspiel zwischen Zellen, das ihnen zeigt, wohin sie müssen. Foto: IST Austria Edouard Hannezo vom Institute of Science and Technology Austria Zel len treiben wiederum Veränderungen der Zellform und ihr Bewegungen an und erzeugen damit eine Feedbackschleife. In diesem gekoppelten System entstehen die mechanischen und chemischen Wellen spontan durch Rückkopplung und Verstärkung. In einer normalen unverwundeten Zellschicht breiten sich diese Wellen in zufällige Richtungen aus, aber wenn auf einer Seite eine künstliche Wunde eingebracht wird, orientieren sich die Wellen neu und breiten sich ausschließlich von der Wunde weg aus. Die ForscherInnen stellten daher die Hypothese auf, daß die Wellen ein Kommunikationsmittel sein könnten, das es den Zellen ermöglicht, sehr weit von der Wunde entfernt zu spüren, in welche Richtung sie sich bewegen sollen. Wellen lesen Eine Dichtewelle veranlaßt die Nachbarn einer Zelle, diese entlang der Ausbreitungsrichtung der Welle zu schieben und zu ziehen. Da die Kräfte, die auf die Zelle ausgeübt werden, bei jedem Wellenberg und -tal gleich und entgegengesetzt sind, hat dies zur »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at 127 Folge, daß sich die Zelle nur kleine Strecken hin und her bewegt, ohne daß sie sich insgesamt fortbewegt. Tatsächlich hat die Zelle keine Möglichkeit, die Richtung zu erkennen, aus der die Welle kommt, und hat daher auch keine Informationen über den Ort der Wunde. Hier kommt die zweite Welle der Proteinaktivität ins Spiel. Sie trifft die Zelle etwas nach der Dichtewelle aufgrund der Verzögerung, welche die Proteine zur Aktivierung benötigen. Und weil die Proteinaktivität die Geschwindigkeit steuert, mit der sich die Zel len bewegen, erlaubt eine Verzögerung zwischen den beiden Wellen, daß sich die Zellen schnell bewegen, wenn sie in Richtung der Wunde gezogen werden, und langsam, wenn sie weggeschoben werden. Auf diese Weise können die Zellen die Symmetrie brechen und sich in die bevorzugte Richtung der Wunde bewegen. Experimente aus dem Gleichgewicht Die ForscherInnen der Universität Kyoto beobachteten dieses Verhalten außerhalb des Gleichgewichts bei In-vitro-Experimenten mit echten Zellen auf einem Substrat. Sie verwendeten eine neuartige Mikroskopietechnik, mit der sie die Proteinaktivität in - nerhalb jeder Zelle messen konnten: Das Pro - tein wurde so modifiziert, daß es bei Aktivierung aufleuchtet und so Wellen der Proteinaktivierung sichtbar macht, die sich in der Zellschicht ausbreiteten. Die WissenschafterInnen konnten die Wellenmuster quantitativ vorhersagen, die sie dann auch experimentell beobachteten. Besonders auffallend war, daß die Verzögerung zwischen den beiden Wellen nahe am theoretisch vorhergesagten Optimum lag, das den Zellen zu erlaubt, aus den Wellen ein Maximum an Information zu gewinnen. Dieser Mechanismus der Selbstorganisation ist bemerkenswert, weil er eine robuste und spontane Kommunikation über große Entfernungen innerhalb der Zellschichten er - möglicht. Er zeigt eine Möglichkeit auf, wie in unserem Körper koordiniertes Verhalten entstehen kann, das ihm hilft, zu sich zu heilen und zu wachsen. n https://ist.ac.at/ https://www.kyoto-u.ac.jp/en/
Ausg. Nr. 195 • 29. Oktober 2020
Foto: © The Schwarzenegger Climate
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Foto: HBF / Peter Lechner ÖSTERREI
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