ÖSTERREICH JOURNAL NR. 186 / 01. 07. 2019 Wissenschaft & Technik Flugzeug, das sich von Turbulenzen nicht erschüttern läßt Eine neue Erfindung reduziert die Auswirkungen von Turbulenzen auf Flugzeuge um 80 Prozent. Bei der internationalen Airshow in Paris wird das neue Konzept von der TU Wien nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Sie sind eine Qual für Menschen, die unter Flugangst leiden: Selbst große, schwere Flugzeuge werden von heftigen Turbulenzen kräftig geschüttelt. Die Erfindung eines Dissertanten an der TU Wien soll dieses Problem nun deutlich verringern: Fluggeräte werden mit speziellen Sensoren ausgestattet und so - bald eine Turbulenz erkannt wird, kann man mit Hilfe einer ausgeklügelten Regelungstechnik gegensteuern. Simulationen und Flug - experimente zeigen, daß die Stabilität der Flugbahn und somit der Komfort der PassagierInnen erheblich verbessert werden kann. Sogar noch bessere Ergebnisse könnte man in Zukunft durch neuartige Flügelkonstruktionen erzielen, die ihre Geometrie verändern und an die Turbulenzen anpassen können, ähnlich wie Flügel von Vögeln. Die neue Steuerungstechnik zur Lösung von Turbulenzproblemen wurde auf einer der wichtigsten Luftfahrtmessen, dem Pariser Aérosalon, von 17. bis 23. Juni erstmals dem Fach - publikum öffentlich präsentiert. Turbulenzen: ausgleichen statt ausweichen Heute versucht man, Turbulenzen vorherzusagen und besonders turbulente Luftregionen zu umfliegen. Das kostet Zeit, Geld und Treibstoff. In Zukunft soll es möglich sein, Turbulenzen direkt zu durchfliegen, ohne schwere Erschütterungen zu erleiden – und zwar mit den Flugzeugen, die es heute bereits gibt. Wenn man nämlich ihre Flügelklappen auf die richtige Weise ansteuert, kann man die Auswirkung von Turbulenzen drastisch reduzieren. „Zunächst werden in Fühlern vor dem Flugzeug Sensoren eingebaut, die den Luftdruck messen und dadurch Turbulenzen registrieren“, erklärt András Gálffy, Erfinder und nunmehr Assistent am Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik der TU Wien. „Sekundenbruchteile später, wenn die Flügel in diese Luftregion gelangen, kann man mit Hilfe einer intelligenten Ansteuerung der Aktorik, die bei uns am Institut entwickelt worden ist, bereits gegensteuern“, © TU Wien Landeanflug bei atmosphärischen Turbulenzen – Visualisierung der lokalen Verteilung von Auftrieb und Luftwiderstand sagt Prof. Georg Schitter, Leiter der Forschungsgruppe für intelligente mechatronische Systeme. Kleine, genau der Turbulenz entgegenwirkende Schwingungsbewegungen der Flügelklappen genügen, um den Auf - trieb zu variieren und damit die Schwingungen des Flugzeugs deutlich zu dämpfen. „Man kann sich das so vorstellen wie bei geräuschunterdrückenden Kopfhörern mit noise cancelling: die Störungen, die von außen auf das System einwirken, werden genau gegengleich erzeugt und heben sich insgesamt auf. Das Ergebnis: ein turbulenzfreier Flug“, erklärt András Gálffy. Durch Simulationsrechnungen und unbemannte Testflüge konnte man zeigen, daß sich die Störeffekte durch Turbulenzen mit der neuen Technik um über 80 Prozent verringern lassen. Die neue Methode wurde be - reits zum Patent angemeldet. Nun soll durch Tests an bemannten Flugzeugen gezeigt werden, daß sich die Ergebnisse auf die kommerzielle Luftfahrt übertragen lassen. Besonders interessant ist die Technik auch für senkrecht startende Fluggeräte – »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at 110 dort wirken der vertikale Schub und die neue Auftriebsregelung in dieselbe Richtung, sodaß sich eine besonders gute Dämpfung ergibt. Weitere Schritte sind geplant Noch besser könnte man die Auswirkung von Turbulenzen abfedern, wenn man noch drastischere Möglichkeiten hätte, steuernd in die Aerodynamik der Flügel einzugreifen. Das soll bei neuen Flugzeugtypen gelingen, indem man speziell adaptive Elemente in die Flügel einbaut. „Wenn man auf kurzer Zeitskala nicht nur die Flügelklappen ansprechen, sondern sogar die Geometrie des Flügels ver - ändern könnte, wäre unsere Methode noch einmal deutlich wirkungsvoller“, sagt András Gálffy. „Das streben wir nun mit adaptiven Flügeln an, mit sogenannten Morphing Wings, die Vogelflügeln nachempfunden sind.“ Weitere Forschung dazu ist bereits ge - plant. n https://www.tuwien.at/ So sieht die Turbulenz-Dämpfung aus: https://youtu.be/LxvfOesdDkE
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 186 / 01. 07. 2019 Wissenschaft & Technik Neue Erkenntnisse könnten Solarzellen günstiger machen 111 »On-the-fly« maschinelles Lernen erkennt atomare Wechselwirkungen in komplexen Materialien © Menno Bokdam / Universität Wien © Menno Bokdam / Universität Wien Hochsymmetrische Atomstruktur von MAPbI3 bei Raumtemperatur. Dreidimensionale Verteilung der Orientierung des Moleküls in den drei verschiedenen Kristallphasen. Wenn die Temperatur erhöht wird (orange → rot → gelb), können die Moleküle mehr Orientierungen erreichen. Die rote Verteilung entspricht der Raumtemperaturstruktur. »Österreich Journal« – http://www.oesterreichjournal.at Auf atomarer Ebene können Materialien eine reiche Palette an dynamischem Ver - halten zeigen, das sich direkt auf ihre physikalischen Eigenschaften auswirkt. Seit vielen Jahren versuchen WissenschafterInnen diese Dynamik in komplexen Materialien bei verschiedenen Temperaturen zu beschreiben. Physiker der Universität Wien haben nun eine neue „On-the-fly“-Maschinenlernmethode entwickelt, die solche Berechnungen durch direkte Einbindung in das weitverbreitete Vienna Ab-initio Simulationspaket (VASP) ermöglicht. Die Vielseitigkeit der selbstlernenden Methode belegen neue, im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlichte Erkenntnisse über die Phasenübergänge von Hybrid-Perowskiten, die wegen ihres Potentials als neuartige Solarzellen-Materialien zu dienen von großem wissenschaftlichem In– teresse sind. Bei Raumtemperatur befinden sich die Atome aller Materialien in ständiger Bewegung. Selbst solides Gestein besteht aus schwingenden Atomen. Die physikalischen Eigenschaften von Materialien stehen in di - rektem Zusammenhang mit der Anordnung ihrer Atome. Je nach Temperatur oder Druck können sich diese Anordnungen und die Ma - terialeigenschaften ändern. Veranschaulicht am Beispiel eines Diamanten, ist dieser, der transparent und hart, weil die Kohlenstoffatome im Diamantkristall periodisch angeordnet sind. Aus den gleichen Atomen entsteht bei anderer Anordnung schwarzer, spröder Graphit. Für einfache Materialien ist es mög - lich, die Position ihrer Atome bei verschiedenen Temperaturen mit quantenmechanischen Molekulardynamik-(MD)-Simulationen genau zu bestimmen. Solche Berechnungen sind jedoch rechenintensiv und be - schränken die praktische Anwendung auf ein paar hundert Atome und eine begrenzte Si - mulationszeit. Physiker aus der Gruppe Computergestützte Materialphysik an der Universität Wien haben nun einen neuen Ansatz entwikkelt, der diese Einschränkungen überwindet und Simulationen komplexer Materialien für zukünftige Energieanwendungen ermöglicht. Dies wird durch die Entwicklung eines effizienten und robusten datengesteuerten selbstlernenden Algorithmus erreicht und vor allem durch die direkte Integration dieses Algorithmus in das Vienna Ab-initio Si - mulation Package (VASP). Im neuen Ansatz kann die „Maschine“ ganz allein die wesentlichen Bestandteile für eine einfachere Beschreibung der wechselwirkenden Atome noch während der MD-Simulationen bereitstellen. Bereits nach der Berechnung von einigen hundert bis tausend Zeitschritten ist die Maschine genau genug, um eine Vorhersage der Positionen der Atome im nachfolgenden Zeitschritt zu machen. Die Maschine ist auch in der Lage, eine Schätzung ihrer Genauigkeit für die nachfolgenden Schritte vorzunehmen. Wenn der Fehler zu hoch ist, schaltet die Maschine auf die genauen, aber rechenintensiven MD-Berechnungen um. Je mehr Simulationszeit ver - geht, desto mehr lernt die Maschine und desto genauer wird sie. Auf diese Weise sind immer weniger MD-Berechnungen erforderlich, was schließlich dazu führt, daß alle Zeitschritte von der Maschine ausgeführt wer - den. Die Selbstlernfähigkeit bei laufendem Be trieb reduziert den Bedarf an menschlichem Eingreifen, der bei bestehenden Me - thoden des Maschinenlernens üblicherweise erforderlich ist. Um die Leistungsfähigkeit der neuen Methode unter Beweis zu stellen, haben die Forscher damit Übergänge zwischen den ver schiedenen Atomstrukturen des MAPbI3- Perowskits nach Änderung der Temperatur untersucht. Dieses Material ist wegen seines Potentials als neues, billiges Solarzellen-Ma - terial eingesetzt zu werden sehr beliebt. Es besteht aus organischen Molekülen, die sich schnell drehen können und durch ein Gitter aus Blei- und Iodidatomen getrennt sind. Je nach Temperatur entstehen drei verschiedene Kristallphasen. Die atomaren Mechanismen in der Nähe der Übergangstemperatur sind sehr schwer experimentell zu bestimmen, und herkömmliche MD-Simulationen würden selbst auf einem modernen Supercomputer jahrelange Rechenzeit erfordern. Mit der neuen „On-the-Fly“-Methode kann die Maschine nach dem Lernen die Phasenübergangstemperaturen und Gitterkonstanten dieses Materials mit beispielloser Präzision vorhersagen. Die neu entwickelte Metho - de ist allgemein und auf viele andere zukünftige materialwissenschaftliche Probleme an - wendbar und wird in der kommenden Version von VASP für ForscherInnen weltweit verfügbar sein. n http://www.univie.ac.at/ Publikation in Physical Review Letters “Phase Transitions of Hybrid Perovskites Simulated by Machine-Learning Force Fields Trained on the Fly with Bayesian Inference”, Ryosuke Jinnouchi, Jonathan Lahnsteiner, Ferenc Karsai, Georg Kresse and Menno Bokdam, Phys. Rev. Lett. 122, 225701 (2019), DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.225701
Ausg. Nr. 186 • 1. Juli 2019 Das
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